Gedanken zur Tageslosung am Mittwoch, den 12. August 2020

von Dr. Friedrich Christoph Ilgner 

"Lass deine Augen offen sein für das Flehen deines Knechts und deines Volkes Israel, dass du sie hörst, sooft sie dich anrufen." 1. Kö 8,52

 

Huckleberry Finn, der unsterbliche Held Mark Twains, hat den Glauben an Gott verloren. Grund ist die Tatsache, dass Gott ihm die Erfüllung eines Gebets versagt hatte. Dabei hätte er den neuen Angelhaken so gut gebrauchen können. Ja, der Mensch ist enttäuscht, wenn Gott ihm die Erfüllung seiner Wünsche versagt. 

 

Jeder Beter weiß, dass es viele Gebetsbitten gibt, die nicht erfüllt werden. Das ist häufig der Fall. Der Beter ist dann schnell enttäuscht, nicht so die Kirche, die weiß, dass Gott aus gutem Grund nicht alle Wünsche erfüllt, auch wenn es uns schmerzt. Uralt ist die Frage, warum er das tut. Wer weiß die Antwort?

 

Fest steht, dass Gott sich nicht zum Erfüller unserer Wünsche macht. Damit wir demütig bleiben? Damit wir ihn nicht als Automaten in unseren Dienst nehmen? Weil er selber Zeit und Ort bestimmen will, an dem sein Willen geschehe, nicht der unsere? Oder weil es uns an Übersicht fehlt, wann welcher Wunsche gut und angemessen ist? Ich gestehe, ich habe noch keine abschließende Antwort parat.

 

Fest steht jedenfalls auch, dass sich die Kirche und die Christenheit von solch tragischen Ereignissen wie dem Ausbleiben eines Angelhakens nicht beeindrucken lässt. Sie betet ohne Unterlass. Warum tut sie das? 

 

Das Gebet der Kirche ist von außen betrachtet eine harmlose, kleine Sache. Es geschieht still und unaufgeregt. Selbst wenn es öffentlich ist, bleibt es verhalten und ohne jeden Glamour. Gottlose Menschen stehen davor und wundern sich, was das soll. Ein Gebet bedarf keiner außerordentlichen Pfiffigkeit oder Gewitztheit. Es hat nicht einmal einen Unterhaltungswert. Einem Außenstehenden muss es äußerst langweilig erscheinen. Wie gesagt, es ist eine harmlose Sache, kaum der Rede wert.

 

Das Gebet der Kirche ist aber von innen betrachtet die größte und gewaltigste Sache, die sich denken lässt. Alle aufdringliche, lärmende Geschwätzigkeit tritt im Nu zurück. Das Gebet ist ganz und gar Konzentration auf das Gegenüber des dreieinigen Gottes im Gespräch. Es ist Ausdruck letzter Wahrhaftigkeit. Jegliche Verstellung ist unnötig. Es fällt aus der Zeit. Für den in der Endlichkeit gebundenen Menschen gewährt es paradoxerweise einen Augenblick lang Ewigkeit. Darum ist es so wertvoll und unverzichtbar.

 

Das Gebet der Kirche ist heilsam, weil es die Bindung an das Ich, die im Grunde eine Gefangenschaft darstellt, durchbricht. Freilich kann es geschehen, dass das Ich auch im Gebet nur wieder sich selbst sucht. Dann wird das Gebet hohl und leer bleiben. Es gehört zur Tragik der Kirche, wenn sie das Beten verlernt.

 

Über ihrem schwachen Gebet steht eine große Verheißung. Die Kirche wird diese Verheißung nicht preisgeben. Jesus spricht: "Was ihr mich bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun." Joh 14,14

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019