Tageslosung am Dienstag, den 18. August 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner 

"Der HERR ist freundlich, und seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit für und für." Ps 100,5

 

Es gibt eine "bestgehasste" Zeit in meinem Leben. Sie begann am 4. November 1986. Ich weiß es noch wie heute, da wurde ich als Bausoldat in das Straßenbauregiment "Robert Siewert" der Nationalen Volksarmee eingezogen. Es war ein regnerischer, trüber Tag. Der Wehrdient war verpflichtend auf 18 Monate festgesetzt, damals eine Selbstverständlichkeit. Der Einberufungsbefehl führte mich weit weg von zu Hause nach Neuseddin, gleich vor die Tore Westberlins, in eine Kaserne, die man getrost zum "antifaschistischen Schutzwall" rechnen darf. (Mir fällt gerade auf, dass die infame Verwendung von Begrifflichkeiten im Wortfeld von "Antifa" von der hasserfüllten kommunistischen Ideologie herrührt.)

 

Ich weiß noch wie heute, dass ich am ersten Tage dachte: Herr Gott nochmal, wie kannst du mich in dieses triste Elend stoßen! Nichts verbindet mich auch nur im Entferntesten mit diesem Staatsgebilde, diesen politischen Kräften, diesen Vorgesetzten, dieser Kaserne, dieser Fahne, diesen Parolen, dieser Tradition, diesem Geist, diesen Befehlen. Weiterhin durchzuckte mich der Gedanke: Eineinhalb Jahre meines Lebens auf dem Altar des Zwanges und der Willkür grausam dahinschlachten!

 

Und dann ist die Zeit vergangen, Tag für Tag, mit allen Höhen und Tiefen, die man sich vorstellen kann. Wortgefechte, Freundschaften, heimliche unerlaubte Entfernung, Arrestzelle, körperliche Schwerstarbeit, unverschämte Drückebergerei, Unterordnung, Aufbegehren, Tage zählen, Nachdienen. Und siehe, da war aus Abend und Morgen ein neuer Tag. Schwuppdiwupp waren 18 Monate vorbei. Der Mensch war ein anderer geworden. Ich habe diese elende Zeit wirklich gehasst. Aber um nichts in der Welt will ich sie missen. Ich habe diese elende Zeit wirklich geliebt.

 

Was ist die Summe? "Der HERR ist freundlich, und seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit für und für", gesprochen mit diesem trotzig-bekennenden Nebenton. Auf mein Leben passt dieser Vers.  

 

Güte, Gnade und Wahrheit - mit diesen drei Worten wird das Wesen Gottes beschrieben. Es ist ein Bekenntnis. Gott ist der Handelnde, wir Menschen sind die, an denen er handelt. Es gibt Höhenflüge im Leben, da spüren wir die Hilfe Gottes unmittelbar. Aber es gibt auch die anderen Zeiten, die sich viel länger hinziehen. Kann es sein, dass, wenn wir auf sie zurückblicken, plötzlich sagen können: Mensch, ist das wohl zu glauben, es war Güte, Gnade und Wahrheit im Spiel. Gott hat mich trotz allem durchgebracht.

 

Er tue es auch fürderhin.

 

"Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke willen, die wir in Gerechtigkeit getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit." Tit 3,4-5

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019