Gedanken zur Tageslosung am Dienstag, den 4. August 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"Ich will den HERRN loben in den Versammlungen." Ps 26,12

 

Übersetzt man den Psalmvers wortwörtlich, lautet er ganz korrekt: "In den Versammlungen will ich den HERRN segnen (brk)". Das ist merkwürdig. Meistens ist Gott das Subjekt, das die Menschen segnet. Oder die Menschen segnen sich untereinander im Angesicht Gottes. Hier nun ist es umgekehrt. Es fragt sich: Wie soll der Mensch Gott "segnen" können? Die Ungewöhnlichkeit dieser Vorstellung mag dazu geführt haben, dass man sich für das Verb "loben" in der Übersetzung entschieden hat. Es ist sicher nicht falsch. Es gibt in die Bibel aber eine ganze Reihe von Stellen, die diese Aussage der Gottessegnung treffen. Es wird also kein totaler Irrtum sein.

 

Kann man sich diesen eigentümlichen Sprachgebrauch erklären? Wir wollen es versuchen. Fest steht, dass - ganz allgemein gesprochen - das Segnen eine Handlung oder Äußerung ist, die auf die Verlebendigung der heilsamen Gottesgegenwart und -kraft abzielt. Deswegen lieben wir den göttlichen Segen ja so besonders und spenden ihn einander so oft. Das gesegnete Objekt wird gleichsam in die geheiligte, göttliche Sphäre hineingezogen und ihr anvertraut. Umgekehrt wird es den Mächten der Finsternis entrissen. Der Segen ist etwas wie ein heilsamer Kraftstrom, mit dem der Mensch sich selbst nie ausstatten könnte.

 

Auf den ersten Blick unterscheiden wir eine vertikale (Gott-Mensch) und eine horizontale (Mensch-Mensch) Beziehung des Segens. Von beiden redet die Heilige Schrift. Das Besondere ist nun, dass sie nicht als Einbahnstraße aufzufassen sind. Der Segen ist wie ein Band das sich von Gott zum Menschen und zurück spannt, es bindet und hält.

 

Dass der Mensch den Menschen segnet und wiederum von ihm gesegnet werden kann, leuchtet uns ein. Das kennen wir aus unserer geistlichen Praxis, die wir fleißig üben. Festzuhalten wäre nur, dass es nicht zwischenmenschliche gute Wünsche sind, die weitergegeben werden. Es ist immer der Segen Gottes der durch einen Menschen hindurch einem anderen Menschen zugewendet wird. Gott bleibt immer und unverzichtbar im Spiel. Streng genommen ist also die Vertikale aus der Horizontale gar nicht wegzudenken.

 

Reden wir von der vertikalen Verbindung von Gott und Mensch, ist auch diese nicht als Einbahnstraße aufzufassen. In der alttestamentlichen Wissenschaft ist von der "Reziprozität" der Segensrelation die Rede. Das heißt, das Segnen des Menschen durch Gott und umgekehrt Gottes durch den Menschen drückt an erster Stelle das Kraftband des Lebens, der Lebendigkeit, der Intaktheit des Gottesverhältnisses aus.

 

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Stelle aus dem Hiob-Buch. Nachdem Hiob die schreckliche Botschaft vom Verlust seiner Besitztümer und vom Tod aller seiner Kinder durch einen Boten erhalten hat, heißt es: "Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid ... und fiel auf die Erde und betete an und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leib kommen, nackt werde ich wieder dahin fahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen. Der Name des HERRN sei gesegnet." (Hi 1,20f.)

 

Wir sehen, obwohl im das Furchtbarste geschieht, das sich denken lässt - für uns Eltern ist es das Schlimmste, dass unseren Kindern, die wir mehr lieben als unser Leben, etwas zustößt - steht für Hiob außer Frage, dass das Segensband Gottes, an das er ihn in seiner Verzweiflung erinnert, unzerreißbar ist. "Der Name des HERRN sei gesegnet." So steht es da. (üblicherweise wird auch hier nicht ganz korrekt übersetzt: "... sei gelobt.")

 

Wenn wir also als Christengemeinde zusammenkommen, selbstverständlich am Sonntag (und darüber hinaus), dann vor allem, um uns in unserer Versammlung gemeinsam des Segensbandes zwischen uns und Gott zu vergewissern. Manch einer kommt unglücklich, zerschlagen, bedrückt,  enttäuscht oder verzweifelt. Das ist leider so. Aber seit Hiob wissen wir, dass der Segen Gottes sich nicht auf augenblickliches Wohlergehen, subjektives Glück oder allzeit gute Laune reduzieren lässt. Er ist umfassender, weil er sich durch die Klage, Leid, Verlust, Einsamkeit und Tod hindurch zum großen Versprechen der Rettung und des Heils in Christus Jesus zieht und hält und trägt.

 

Daran lasst uns denken, wenn wir uns das nächste Mal begegnen im Gottesdienst, der nichts anderes ist als der Dienst Gottes an uns und unser Dienst an Gott. Hin und her. Kommt so, wie ihr seid und segnet den Namen des Herrn, auf dass ihr gesegnet werdet. "Wie ist es nun, Brüder und Schwestern? Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Erbauung!" 1 Kor 14,26

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019