Predigt am 1. Christtag 2022, Kol 2,6-10

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Predigt am 1. Christtag 2022, Kol 2,6-10

 

6 Wie jr nu angenomen habt den HErrn Christum Jhesum / so wandelt in jm / 7 vnd seid gewurtzelt vnd erbawet in jm / vnd seid feste im glauben / wie jr geleret seid / vnd seid in dem selbigen reichlich danckbar.8 SEhet zu / das euch niemand beraube durch die Philosophia vnd lose verfürung / nach der Menschenlere / vnd nach der welt Satzungen / vnd nicht nach Christo / 9 Denn in Jm wonet die gantze fülle der Gottheit leibhafftig /10 vnd jr seid volkomen (Das ist / jr habts gantz vnd gar / wenn jr Christum habt / dürfft nichts weiter suchen.) in jm / welcher ist das Heubt aller Fürstenthum vnd Oberkeit. (Übersetzung Martin Luther 1545)

 

Auf einem Geburtstag, zu dem ich eingeladen worden war, stellte mich die Gastgeberin einem klugen Menschen, einem Professor für Medienwissenschaft vor. Sie sagte ihm, dass ich der Pfarrer soundso sei. Er fragte: Katholisch oder evangelisch? Ich sagte, in Sachsen sei man als Geistlicher natürlich 1539 natürlich evangelisch. Er sagte: "Evangelisch? Gibt's die noch? Die sind doch längst tot."

 

"Wie bitte?" sage ich. Es lässt sich denken, dass mich das von den Socken haute. Es entspann sich wirklich ein Streugespräch, das den halben Abend währte. Ich war eigentlich nicht auf den Geburtstag gegangen, um mich mit Verächtern des Christentums herumzuschlagen, aber dergleichen kann man schon aus Gründen der Selbstachtung nicht stehen lassen.

 

Ich schlug mich also mit diesem Manne herum und ich erinnere mich, dass seine Argumente stark und, was die Sache immer verzwickt macht, zum Teil leider auch berechtigt waren. Denn er war klug. Er hatte es auf medial sehr prominente Verlautbarungen einer sich im Politischen verlierenden Kirchlichkeit abgesehen. Solch eine Kirche, sagte er, verwechsele das Evangelium mit politischen Tagesmeinungen, die heute so und morgen anders lauten. Man könne jedes Politikfeld abschreiten; immer fände sich eine dezidierte kirchliche Stellungnahme, die die jeweilige Mehrheitsmeinung verstärke und, was noch schlimmer sei, dieselbe christlich verbräme. Eine solche Kirche, sagte er schließlich, sei im strengen Sinne überflüssig, denn sie verstärke auf fatale Weise das, was sowieso in jeder Zeitung stünde. Sie sei sprachlos geworden und füge dem, was sowieso in aller Munde sei, nichts eigenes mehr hinzu. Sie sei also tot.

 

Sagen Sie einmal etwas gegen solch scharfen Angriff eines Weltweisen! Ich mühte mich also redlich, dem gebildeten Verächter der evangelischen Kirche unter den Gebildeten entgegenzutreten.

 

Was können wir geltend machen? Wir fassen zusammen:

 

Erstens: Es ist schmerzlich, wenn das Evangelium und die sichtbare Kirche so in eins gesetzt werden, als wären sie dasselbe. Das ist aber nicht der Fall. Zwar soll die Kirche ein Geschöpf des lebendigen Gotteswortes sein; aber weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart ist sie ihrer Quelle treu gewesen und geblieben. Immer, wenn sichtbare Kirche "von dieser Welt" und nicht "aus Gott" gewesen ist, kappte sie selbst schuldhaft ihre Wurzeln, verlor ihren Stand und verriet Christus.

 

Zweitens: Das Evangelium selbst ist und bleibt ein Wort der Freiheit, der Wahrheit und des Lebens, auch wenn das "kirchliche Bodenpersonal" ihm untreu wird. Es ist schmerzlich einzuräumen, dass das bis auf den heutigen Tag häufig geschieht. Scham über eine solche falsche Kirche.

 

Drittens: Eine der schlimmsten Versuchen, der die Kirche erliegen kann, ist die Verwechslung des Heiligen Evangeliums mit einer modernen "Philosophie", "Menschenlehre", "menschlichen Satzung", modern gesprochen Ideologie oder Weltanschauung. Mit vollem Recht warnt der Apostel Paulus vor einer solchen "losen Verführung", die aktueller ist denn je. Wir sprechen einer Kirche, die sich wie ein Panoptikum wechselnder Politthemen ausnimmt, nicht das Wort. Dergleichen ist abartig.

 

Viertens: Wir reden aber von einer Kirche, die Politik und politische Strömungen kritisch vom Wort Gottes her erkennt, durchschaut und kritisiert. Insoweit hat die Kirche politisch zu sein. Immer wenn sie genügend Scharfblick und Mut hatte, sich gegen zeitgeistliche Entgleisungen zu wenden, brach eine ihrer Sternstunden an. Das Wort der wahren Kirche konnte in solchen Stunden zum Gerichtswort werden.

 

Fünftens: Das froh und frei machende Evangelium, das Gott in die Welt hinein schenkt, ist also von einer Kritik an schlechter und irriger Verkündigung nicht berührt. Denn das Evangelium besteht in sich selbst. Es ist alle Tage neu und frisch und unverbraucht. Es tritt sogar gegen und trotz des schuldhaften Unvermögens seiner Diener an den Tag und strahlt in die Finsternis.

 

Sechstens: Mit Jesus Christus ertönt das Wort Gottes in der Welt, d. h. Gott "spricht" seit Weihnachten zu uns Menschen. Er tut dies also von seiner Geburt seines Sohnes an, in dem er selbst sich finden lässt. Das Weihnachtsfest ist seinem Wesen nach eine Botschaft, die eine Richtung hat und ein Ziel kennt.

 

Siebentens: Wer dieses Wort nicht hört, hat Gott nicht. Wer dieses Wort vergisst, dem entfällt Gott. Wem fremde Propaganda dieses Wort ausredet oder abspenstig macht, verspielt Wahrheit und Leben. Die Mächtigen dieser Welt, die sich für wichtiger halten als Gott, sind nur "Menschen, die können ja nicht helfen." (Ps 146,3)

 

Es ist wichtig, dass wir uns zu Weihnachten des Kommens Gottes in diese Welt vergewissern. Prüfen wir uns, wo "Philosophie" und "Menschenlehre" unseren Glauben etwa gefährden. "Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme" (Off 3,11)

 

Im übrigen meine ich, dass die Kirche Christus zu verkündigen hat, Freiheit, Wahrheit und Leben.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019