Predigt für den Ewigkeitssonntag, den 21. November 2021, Jesaja 65,17-19

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"So spricht der Herr: Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens." Jes 65,17-19

 

Ein Neugeborenes - es ist gerade aus dem Dunkel des Mutterschoßes in die Welt hinein geboren. Nun muss es im grellen Licht eines Kreißsaals überleben. Jeder weiß, dass ein neugeborenes Kind, sobald es das Licht der Welt erblickt, weinen muss. Wenn es nicht will, hilft man etwas nach. Wichtig ist, dass es unbedingt weinen soll. Die medizinische Wissenschaft verrät uns, dass das nötig sei, damit das Neugeborene ordentlich atmen lernt. Ist das der einzige Grund? Der englische Dichter Shakespeare weiß noch einen anderen: Das Neugeborene müsse weinen, sagt er, weil es nun die Welt, die große Narrenbühne betreten müsse. Und das sein nun einmal zum Weinen. Hat er Recht damit? 

 

Wenn ein Mensch wegen Krankheit oder Alter in Lebensnot und Bedrohung gerät, dann packt ihn das Erschrecken, dass er einst sein Leben verlieren wird und muss. Es meldet sich wiederum die "Stimme des Klagens und Weinens". Ist es denn nicht traurig, dass ich aus der schönen Welt gehen muss und alles zurücklassen, was mir lieb und wert geworden ist? 

 

Man könnte glatt denken, dass der Mensch aus dem Dunkel kommt und in das Dunkel geht. Erst will er nicht recht hinein, dann will er nicht recht hinaus. Auf diese Formel könnte man das Elend auch des modernen Menschen bringen. 

 

Es gehört zu den tragischen Fehlentwicklungen der Gegenwart, dass die meisten Menschen glauben, dass es über diese Welt hinaus nichts zu wissen gibt. Auch wir sind in einem Winkel unseres Herzens anfällig für diese Irritation, sofern wir Teil haben an der Welt. 

 

Aber ich möchte heute dagegen reden. Wer so denkt, der irrt sich. Er ist in die gedanklichen Fallstricken einer gottfernen Welt geraten. Er ist in einer tragischen Selbstentmündigung verfangen. Hoffentlich findet er irgendwann wieder heraus. 

 

Unser Leben, in dem wir uns vorfinden, stellt uns eine Reihe gewaltiger Fragen. Die lauten: Was meinst du, wo du herkommst? Hat dich jemand ins Dasein gerufen? Wollte jemand, dass Du bist? Gab es jemanden, der dich dir gegeben hat? Wie stellt er sich zu dir? Oder wurdest du nur dazu auf die Bahn gebracht, dass du scheiterst und verschwindest? Ist jemand jenseits aller Zeitlichkeit?

 

Es ist sehr wichtig, ja notwendig, auf diese Fragen eine Antwort zu wissen. Wer sie nicht geben kann, wird sich wohl selbst verlieren. Er steht einsam und fremd vor den Rätseln von Leben, Sterben und Tod. 

 

Wer sie aber zu geben weiß, hat sich gewonnen und seine Zukunft dazu. Der Prophet Jesaja redet von Gott, dem Schöpfer. Dieser Schöpfer ist es, der mich mir gegeben hat. Er hat mich als sein lebendiges Gegenüber ins Leben gerufen, weil er wollte, dass ich sein sollte. Der Prophet redet nicht von einer anonymen Schicksalsmacht, sondern von einem Gott, der ein Gesicht trägt, der eine Person ist und sein Geschöpft mit Liebe ansieht. Wenn er von ihm als dem Schöpfer redet, zeigt er zugleich an, dass seine Geschöpfte zu ihm unterwegs sind. Die Verheißung heißt, dass sie ihn schauen werden. Wunderbar heißt es im Psalm: "Ich aber will schauen Gottes Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde." (Ps 17,15; diesen Gedanken incl. Bibelstelle verdanke ich Hanna Barbare Gerl-Falkovitz) Derselbe Schöpfer ringt um sein Geschöpft auf Tod und Leben. Es war ihm wichtig, dass es nicht verloren geht. Bevor er es verloren gebe, wollte er sich lieber selber in den Tod geben. Das hat er getan. In Jesus Christus hat er uns gewonnen zu einem neuen Leben in seiner neugeschaffenen Welt. So nimmt er von uns alles Weinen und Klagen. So schenkt er uns die Freude eines neuen Himmels und einer neuen Erde.