Predigt zum Aschermittwoch, den 17. Februar 2021 Ps 51

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen gewissen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Ps 51

 

Im März des Jahres 1517, noch vor Abfassung der berühmten 95 Thesen, veröffentlichte Luther seine erste Schrift in deutscher Sprache. Es handelt sich um eine Auslegung der sieben Bußpsalmen. Schnell wurde das kleine Büchlein berühmt, in dem zahlreiche Themen schon anklingen, die in der Folgezeit große Bedeutung gewinnen sollten. An verschiedenen Orten im alten Reich wurde es nachgedruckt.

 

Wer darin liest, wird merken, dass es gar nicht die Ablassfrage, die am Anfang der reformatorischen Entdeckung steht. Schon gar nicht die Kritik an Papst, Heiligen oder irgendwelchen Missbräuchen der römischen Kirche in Ritus und Liturgie. Es geht auch nicht um eine geistige Befreiungsbewegung, die die Entscheidungsfreiheit des Individuums, die Autonomie des Subjekts oder die Berufung auf das Gewissen zum Inhalt hätte, wie man manchmal lesen kann.

 

Es geht von Anfang an darum, dass sich das Ich, Mein, Mir, Mich, also eine unausstehliche Ichsucht, von Gott trennt. Es geht Luther von Anfang an um Buße, Umkehr und das Gewinnen eines reinen Herzens. Luther widmet dem Ps 51 eine eigene, prägnante Auslegung. Er spricht eine Reihe von Punkten an. Ich möchte nur den einen herausgeben, der jeden von uns direkt trifft: Das reine Herz, das ich gern gewönne, mit dem ich fröhlich im Einklang mit Gott, den Menschen und mir selbst leben könnte, verstelle ich mir selbst durch meine kleine, kleinliche und gierige Ichbezogenheit.

 

"Ein 'krummer' Geist ist der Geist des Fleisches und Adams: in allen Dingen biegt er sich zu sich selbst zurück und sucht das Seine. Er ist uns angeboren. Der 'aufrichtige' Geist ist der gute Wille, der stracks auf Gott gerichtet ist und alleine Gott sucht." (Die sieben Bußpsalmen, in: Martin Luther, Calwer Ausgabe, Bd 1, Stuttgart 1930, S. 218)

 

Der in sich selbst verbogenen Menschen werden nie ein reines Herz gewinnen. Man täusche sich nicht; auch sie strengen sich gewaltig an, gute Menschen zu sein. Sie geben sich große Mühe. Es liegt aber wie ein Fluch über ihnen, dass sie glänzen müssen vor sich und anderen Menschen, als bestünde ihr Wert darin, sich vor der Welt groß zu tun und die Erfolgreichen zu geben.

 

Eben darin, so die überraschende Erkenntnis Martin Luthers, die auf den ersten Blick frappiert, d. h. eben in ihren tollen Taten sind diese Menschen gottlose Sünder, die von Gott getrennt sind. Denn sie erhöhen sich selbst. "Darum werden sie erniedrigt und verworfen; denn sie meinen, sie seien rein und fromm und erleuchtet und somit unverwerflich." (ibid.)

 

Der Aschermittwoch stellt diese Wahrheit mit Nachdruck heraus. Er zielt nicht auf ein Fasten ab, das irgendwelche Höchstleistungen, Anstrengungen oder moralische Guttaten mit Gaben, Spenden oder Zuwendungen im Blick hat. Mit einem Wort, er zielt nicht darauf ab, dass der Mensch endlich gut wird und Gutes tun muss.

 

Denn nicht der Mensch kann das Subjekt seiner Befreiung sein oder je werden, sondern Gott selbst handelt. Dahin geht die Bitte: "Gott, schaffe du in mir ein reines Herz, gibt du mir einen neuen, gewissen Geist." Gott muss die Tür zur Freiheit aufstoßen.

 

Dann wird der Mensch verwandelt. Ich würde es eine Aschermittwochs-Verwandlung nennen. Denn er wird von sich selbst und seiner Ichsucht befreit. Folglich wird er  nicht mehr seiner unersättlichen Gier nach noch mehr Lebensgütern erliegen.

 

Umgekehrt wird er sein Vertrauen auf Gott setzen werfen und in einer bisher ungekannten Gelassenheit aus Gottes Hand annehmen, was der für ihn bereitet hält. Er wird sich damit genügen lassen. Er wird nicht hadern mit seinen verpassten Gelegenheiten und entgangenen Lebenschancen. Er wird erkennen, welch große Möglichkeiten er hier und heute gewinnt, wo es nicht nach seinem Plan und Kopf geht.

 

Im Vertrauen auf Gott wird der Mensch ein reines Herz gewinnen und endlich zu seiner Bestimmung finden.

 

 

 

 

 

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019