Predigt am 9. Sonntag nach Trinitatis, den 14. August 2022

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Predigt am 9. Sonntag nach Trinitatis, den 14. August 2022, Mt 25,14-30

 

14 Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; 15 dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und ging außer Landes. Sogleich 16 ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. 18 Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. 20 Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe fünf Zentner dazugewonnen. 21 Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 22 Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe zwei dazugewonnen. 23 Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 24 Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25 und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. 26 Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? 27 Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. 28 Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29 Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. 30 Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Mt 25,14-30

 

Bei seiner Verabschiedung hielt ein alter Amtsbruder im Pfarrkonvent eine letzte Andacht. Es war ein Rückblick auf Leben und Arbeit. Er kam, ich weiß nicht mehr den genauen Zusammenhang, auch auf das "Gleichnis von den anvertrauten Pfunden" zu sprechen. Er sagte, er sei im Laufe der Jahre und Jahrzehnte einer ganze Reihe von Menschen begegnet, für die das Leben, das zu führen ihnen bestimmt gewesen war, eigentlich etwas zu schwer und etwas zu hart gewesen sei, als dass sie es tragen konnten. Und er wolle sich vorbehalten, den Herrgott dermaleinst zu fragen, was er sich dabei gedacht habe. Als ich unsere Gleichnisrede Jesu las, musste ich wieder an diese Äußerung denken.

 

Seit Jahrhunderten blickt die Christenheit schockiert auf dieses "Gleichnis von den anvertrauten Pfunden". Es überliefert  ungewöhnlich harte Sätze aus dem Munde Jesu, die einen, denkt man ihnen nach, verstören und ratlos zurücklassen. Es ist hier nichts zu beschönigen. Die Treue zur Heiligen Schrift fordert uns auf, auch das zu Herzen zu nehmen, was nicht weich und lieblich ist.

 

Gleich drei harte Aussagen trifft das Gleichnis gegen Ende: Der Herr, sagt Christus, sei ein harter Mann , der ernte, wo er nicht gesät habe. Sodann nehme er dem, der wenig hat, das Wenige und gebe es dem, der viel hat auch noch dazu. Drittens überantworte er ihn der Finsternis, wo „Heulen und Zähneklappern“ herrschten. Was soll man dazu sagen?

 

Aber es steht so geschrieben. Einigermaßen fassungslos fallen uns auch gleich Menschen ein, an denen solches Tun wahr geworden ist. Möglicherweise lassen sich auch in unserem Leben Spuren solchen Handelns Gottes finden.

 

Man hat Deutungen gesucht und auch gefunden, die die Akzente so setzen, dass die Härten abgeschwächt oder ganz unterdrückt werden. Man kann z. B. solche Äußerungen Jesu zu Fälschungen erklären oder zu Missverständnissen, auch zu unechten Zutaten späterer Redaktoren. Andererseits muss ich zugeben, dass ich keine überzeugende Erklärung gefunden habe. Zu sehr widerstreitet solche Rede anderen Schriftworten. Wenn wir irgendetwas wissen, dann das, dass wir allein aus der Gnade Gottes leben. Wir stehen vor einem ungelösten Rätsel und Zerrspiegel der Wirklichkeit Gottes. Heimlich wünschte ich, Christus hätte solche Sätze nie gesagt. Es wird der Zeitpunkt kommen, da wir ihn von Angesicht zu Angesicht nach dem fragen, was uns wie Ungerechtigkeit, Willkür und Grausamkeit vorkommt. Genug davon.

 

Aber das Gleichnis redet nicht nur von dem „Herrn“ und seinen verborgenen Motiven, sondern vor allem von den "Knechten". Hier gibt es wichtiges zu beobachten. Eigentlich redet Christus vor allem von einem, nämlich dem dritten Knecht. Das ist der Versager und Abgestrafte. Hier schlägt das Herz des ganzen Gleichnisses. Diesem dritten gehört unsere Empathie und unser Mitgefühl, da er doch so unvermutet ins Unglück kommt. Er ist unser tragischer Bruder.

 

Einige Anregungen lassen sich mit Blick auf ihn hervorheben. Das Gleichnis fordert uns zunächst einmal auf, uns auf unsere ganz eigenen, besonderen Gaben zu besinnen. Gott hat sie allen seinen Geschöpfen verliehen. Es ist nicht einer unter uns, der nicht glänzen könnte mit etwas, das er ganz besonders gut und fein kann. Niemand ist davon auszunehmen. Die anvertrauten Pfunde sind die Talente, zu denen man Zutrauen haben darf und soll.

 

Unser Freund, der dritte Knecht hatte kein Zutrauen in seine Talente. Zwar dachte er, dass er alles richtig macht. So vergrub er sein Talent Silbers tief in der Erde, um es dem Eigentümer unversehrt zu überhändigen, wenn er einst zurückkehrt. Er beabsichtigte, sich frei zu machen von allen Risiken und Unwägbarkeiten. Das ist uns nicht fremd. Aber eben darin hat er sich vertan. Er übersieht etwas. Denn er tut gerade so, als hätte er die Gabe gar nicht empfangen. Im Grunde lehnt er ihren Besitz ab. Er rührt sie nicht an. Darin verweigert er sich seiner eigentlichen Bestimmung. Er setzt auf Absicherung und bewirkt das Gegenteil. Wieso tut er das?

 

Das Gleichnis gibt den Grund an. Er fürchtete sich. Er ist voller Sorge und Angst. Darin ist er so gehemmt und gebunden, dass er handlungsunfähig wird. Hätte er die Angst ablegen können, litte er nicht unter der verheerenden Lebenslähmung, die ihn knechtet. Gesetzt er hätte sein eines Talent Silber eingesetzt und im Unglück alles verloren - es wäre ihm vermutlich besser ergangen. Davon erzählt Christus im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Christus will, dass wir der Tendenz, sich in der Absicherung selbst zu entmündigen und der Handlungsfreiheit zu berauben, entgegentreten. Er fordert uns auf, unsere Talente spielen zu lassen.

 

Das Gleichnis birgt die schöne Aufforderung an uns alle, dass wir die uns anvertrauten Talente im Leben spielen lassen. Vielleicht dürfen wir zugespitzt sogar sagen: Nur da, wo wir mit unseren Talenten zum Zuge kommen, wird unser Leben seiner Bestimmung gerecht werden. Wo wir sie zurückhalten oder aus lauter Angst nicht in die Waagschale zu werfen wagen, verfehlen wir unsere Lebensaufgabe und verlieren uns selbst. Dazu braucht es jenen Lebensmutes, den man vielleicht gar als geistliches Draufgängertum bezeichnen kann. Solch geistliches Draufgängertum kennt keine Angst.

 

Lasst uns Gott bitten, dass wir ganz und gar angstfrei werden, um jenes geistlichen Draufgängertumes willen, zu dem wir in Christus berufen sind.

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019