Predigt am 4. Advent, Lk 1,26-38

von Pfarrer Friedrich Christoph Ilgner

 

Predigt am 4. Advent 2021, Lk 1,26-38

 

26Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, 27zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. 28Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden.31Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. 32Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben,33und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.34Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? 35Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. 36Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. 37Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. 38Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

 

Gestern früh, vielleicht kurz vor sechs Uhr, war die Stadt noch ganz still.  Am Samstag früh gibt es ja fast keinen Verkehr am Wasaplatz. Draußen war es stockdunkel und kalt, eben ein richtiger Wintertag. Dann geschah etwas Unerwartetes. Mitten in diese Stille hinein begann plötzlich eine Amsel zu singen. Sie sang ausdauernd. Ab und zu ließ sie eine kleine Pause und begann dann von Neuem. Zwischendurch hatte ich Sorge, dass sie aufhören oder wegfliegen könnte und ich in der Stille allein blieb. Aber sie war ausdauernd und blieb und sang. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich so etwas mitten im Dezember, schon einmal zu hören bekommen hätte. Denn der Dezember ist der Monat der Krähen mit ihrem heiseren "krah-krah". Da ist nichts Schönes dran.

 

Das Evangelium des heutigen Sonntags schildert eine Begebenheit, die bei äußerlicher Betrachtung eine einzige Zumutung ist. Das habe ich schon oft gedacht. Wie kann einem jungen Mädchen in einer Welt, die nach festen moralischen Grundsätzen organisiert ist, eine solche Nachricht zugemutet werden? Dem Tatbestand nach ist es so ziemlich das Schlimmste, das sich überhaupt denken läßt. Wo findet sich in einer solchen Überlieferung die heilsame Kraft des Evangeliums?

 

Das Evangelium des heutigen Sonntags ist von besonderer Kraft für den, der Ohren hat zu hören. Es ist eine einzige, große Lektion gegen die Zumutungen unseres Daseins. Das junge Mädchen Maria lebt uns vor, wie man mit einer Zumutung umzugehen hat. Dabei erscheint sie nicht als Dummerchen, das die Zumutung einfach so hinnimmt. Sie ist sogar recht mutig und hält ordentlich dagegen.

 

Die Erzählung des Evangelisten Lukas enthält drei retardierende Elemente. Sie werden sichtbar anhand der Reaktion Marias. In dieser Reaktion ereignet sich ein Fortschritt. Am Anfang steht ein erstrecktes Nachfragen: "Was für ein Gruß ist das?", denn der Engel hatte sie begrüßt mit den Worten: " Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!" Da hatte er schon etwas vorgebaut durch diese doppelte Begrüßung, damit sie nicht verzweifeln soll angesichts der stracks folgenden Zumutung.

 

Liebe Schwestern und Brüder, wie habe ich euch heute begrüßt? Gleich am Anfang: Der Herr sei mit euch. Das sind die Worte des Engels. Sodann: Die Gnade des dreieinigen Gottes sei mit euch"! Das sind ja auch die Worte des Engels. Ich bin zwar im normalen Leben weiß Gott alles andere als ein Engel. Heute morgen aber, an diesem 4. Sonntag im Advent, da darf ich den Engel Gabriel für euch geben. Denn, falls ihr's noch nicht wußtet oder vergessen hattet, auch ihr seid sämtlich begnadete und in die Gegenwart Gottes gesetzte Leute, jeder einzelne von euch, damit ihr im Leben nicht verzweifeln müßt.

 

Der Engel Gabriel fährt fort und richtet seine Zumutung aus: Du sollst den Sohn Gottes gebären, der König sein soll ewiglich. Maria mag erschrocken sein; jedenfalls fragt sie zurück: Moment, wie ist das zu verstehen? Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? So jung sie ist, soviel weiß sie doch einzuwenden. Hier liegt doch wohl ein Missverständnis vor.

 

Jeder von uns ist mit Zumutungen konfrontiert, und zwar jeder mit den je eigenen. Es gibt sie zuhauf. Bei Maria aber können wir beobachten und lernen, wie damit umzugehen ist. Es ist ein alter Streitpunkt, wer der Urheber unserer Zumutungen ist. Ich kann diese Frage hier nicht umfänglich beantworten. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass Gott allenfalls seine Gründe haben mag, sie geschehen zu lassen. Für uns ist interessant, wie Maria reagiert: Sie macht einen Vernunftgrund gegen die Zumutung dieser verkündigten Schwangerschaft geltend.

 

Liebe Schwestern und Brüder, das sollen wir auch tun, und zwar mit aller uns gegebenen Gründlichkeit und Klugheit. Ich schätze, Gott und sein englisches Personal kann damit umgehen. Kommt also wieder einmal eine Zumutung in unserem Leben daher, scheinbar aus dem Nichts, jedenfalls haben wir sie nicht kommen sehen, so sprechen wir: Wie kann das zugehen? Herr Gott, was hast du vor? Das und das passt nicht zusammen? Was fällt dir ein? Wo soll das hinaus?

 

Dann wird es sich entscheiden. Entweder die Sache löst sich auf - oder sie hat Bestand. Was, wenn sie Bestand hat? Sollen wir die unerklärlichen Dinge, die wir nicht ändern können, hinnehmen? Der Engel Gabriel beharrt. Es gilt. "Bei Gott ist kein Ding unmöglich." Nicht einmal die Zumutung.

 

Dann gibt Maria ihre letzte Antwort. Ich bewundere sie dafür, wie sie das tut. Denn was sie jetzt sagt, das fiele mir persönlich äußerst schwer. Ich bin da immer noch ganz am Anfang, ein ungeduldiger und oft unwilliger Schüler, der noch viel zu lernen hat. Sie sagt: "Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast."

 

So hat sie damals zugestimmt. Gott hat sich den Weg gebahnt in diese Welt durch eine Zumutung. So kommt er auch zu mir und dir. Er schenke uns das gläubige Herz, auch in den eiskalten, dunklen Zumutungen unseres Daseins voller gläubiger Zuversicht, dass bei ihm nichts unmöglich ist, zu sprechen: Herr Gott, mir geschehe, wie du gesagt hast.

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019