Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis, den 11. Juli 2021, Mt 28,16-20

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf einen Berg, dahin Jesus sie beschieden hatte. 
Und da sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; etliche aber zweifelten. Und Jesus trat zu ihnen, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Mt 28,16-20

 

Einmal, als ich für einen Morgenkreis in den Kindergarten kam, hörte ich, wie eines der Kinder, das gerade von seinem Vater gebracht wurde, diesem zuflüsterte: "Papa, sieh mal, das ist der Pharao." Der Knabe hatte sich etwas vertan. Wenig später traf ich ein anderes Kind, das mit seinen Eltern im Urlaub offenbar eine Kirche besucht hatte und mir etwas Nettes sagen wollte: "Weißt du was", sagte es, "wir waren auch in einem Gott-Museum". Dieses Kind hatte sich ebenfalls etwas vertan.

 

Es konnte nicht wissen, dass ich Museen hasse. Warum eigentlich, denn ich gehe ständig hinein in diese Dinger. Ich kenne die berühmten Museen Dresdens bestens. Das ist ja paradox, wie kann das sein? Es muss damit zusammenhängen, dass ich Museen zwar hasse, aber das, was drin ist, liebe. Deshalb muss ich immer wieder hin.

 

Museen sind deshalb schreckliche Orte, weil in ihnen die edelsten Kunstwerke wie Mumien ausgestellt werden. In grelles Licht getaucht sind sie den zudringlichen Blicken des Sensationslustigen preisgegeben. Museen haben etwas Voyeuristisches, fast Unanständiges. Drollige Schildchen, deren Informationsgehalt meist dürftig ist, machen die Sache auch nicht besser. Aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, sind die feinen Schätze in ermüdender Eintönigkeit aneinander gereiht. Schon nach kurzer Zeit schleppt man sich erschöpft durch die Säle und fragt sich: "Was ist das nur für eine Qual mit all dem edlen Gerümpel? Das hier ist ein Ort des Todes." Dann denkt man sich: "Warum dürfen diese Kunstwerke nicht an die Orte zurückkehren, für die sie gemacht wurden, in Kirchen, öffentliche Gebäude, Salons oder Wohnzimmer, je nach dem? Hier sind sie so fremd und heimatlos und bar jeden Sinnes."

 

Die Worte unseres Predigttextes bilden das Ende des Evangeliums nach Matthäus. "Matthäi am Letzten" lautet eine Wendung, die auf Martin Luther zurückgeht. Sie bezieht sich auf die Rede von "der Welt Ende". Aber es war gar nicht das Ende. Die Rede Jesu markiert doch einen für die Menschheit bis heute höchstwichtigen Anfang. Denn diese Worte formulieren den Auftrag an die versammelten Apostel, in alle Welt zu gehen, zu lehren und zu taufen. Darum nennt man diese Schlussrede Jesu auch den "Taufbefehl". Richtig daran ist, dass Christus einen Imperativ verwendet.  

 

Wir sehen Christus auf dem Berge stehen. Er hatte seine Jünger dahin beschieden, wie es heißt. Als er ihnen nun in die Augen blickt, sieht er, wie verwirrt und voller Zweifel sie sind. Hier sind uns die Jünger sehr nahe, denn wir verstehen die rätselhafte Welt auch nicht recht. Christus weiß, dass er aus dieser irdischen Welt zum Vater gehen wird, aber die Apostel bleiben. Hätte er sie nicht mitnehmen können? Nein, es ist wichtig zu verstehen, dass die Geschichte des Heiles - nach seinem Willen - unter die Menschen kommen sollte. Eben dazu hat er die Apostel ausgesandt. Und er sendet sie nicht mit leeren Händen. Er beschließt, der verzagten und irritierten Schar etwas anzuvertrauen, das sie seiner unsichtbaren Gegengart gewiss macht. Darum die Heilige Taufe, die ein ins Wasser gefasstes, sichtbares Wort ist.

 

Daraufhin kehren die Apostel in die Welt zurück. Sie tun, was Christus ihnen auftrug. Sie tun es auf jede Gefahr hin, denn alle von ihnen haben diesen Auftrag über ihr Leben gestellt. Durch seinen Zuspruch haben sie ihre unwissende Verzagtheit überwunden.

 

Ich möchte heute nur das kleine Moment hinweisen, dass die Jünger, als sie sich zum Gehen wenden, vom Berg hinabsteigen dürfen. Oft habe ich das überlesen. Ihr Auftrag, so schwer er immer war, hat ihre Füße beflügelt, weil sie vom Berg hinab steigen durften und nicht hinaufsteigen mussten. Sie sind mit dem Schwung eines vom Berg in die Niederung laufenden Wanderers aufgebrochen, um dem Auftrag Jesu zu entsprechen. Ganz am Anfang stand also nicht der mühsame, ächzende und atemraubende Aufstieg, sondern umgekehrt. Es ging wie von selber. Was für ein Schwung!

 

Bald schon kamen die ersten Hütten, Häuser und Dächer in Sicht. Manche hörten das Wort, glaubten und ließen sich taufen. Andere nicht. Da gingen die Jünger weiter, zum nächsten und übernächsten, immer so fort. Was für ein Schwung!

 

Lasst uns das für heute festhalten, dass wir, in der Teilhabe am apostolischen Auftrag, mit Schwung und in frischer Fahrt das Heilige Evangelium zu unseren Kindern und Kindeskindern und all den Menschen tragen, die uns umgeben. Können sie es hören, sollen sie getauft werden. Hören sie es nicht - nun, so muss der Heilige Geist einen Weg finden, ihnen die Ohren zu öffnen. Wir schreiten fröhlich fort. Unser Teil ist nur, uns nicht aufhalten oder abbremsen zu lassen oder schließlich zum Stillstand zu kommen. Unsere Parole heißt: Was für ein Schwung!

 

Wir errichten keine Museen, in denen kostbare Relikte und edle Sammelstücke unseres christlichen Glaubens an die Wand gehangen, ausgestellt oder mit grellem Licht in Szene gesetzt werden müssten. Wir nutzen sie fröhlich, wie sie gedacht waren und sind. Wir leben mit ihnen, pflegen sie und lassen uns von ihrem Glanz verzaubern und beflügeln. 2000 Jahre Dichtung, Musik, Malerei, Architektur und Kultur. Was für ein Schwung! Sollte sich der lebendige Glaube je in ein Museum verwandeln, dann ist er gestorben. Absit!

 

Kurz vor seinem Tode bat mich mein Vater, der übrigens heute seinen Geburtstag feiert, damals schon sehr schwach und krank, fast blind und voller Sehnsucht, zu Christus zu kommen, dass ich ihm ein Bändchen von Matthias Claudius aus seiner Bibliothek herbeihole. Ich sollte ihm den Brief "An meinen Sohn Johannes" vorlesen, weil er selbst es nicht mehr konnte. Als ich damit fertig war, sagte er, es seien diese Worte sein Testament für mich. Am Ende heißt es dort, wie ein Kommentar zu "Matthäi am Letzten": 

 

"Und sinne täglich nach über Tod und Leben, ob Du es finden möchtest, und habe einen freudigen Mut; und gehe nicht aus der Welt, ohne Deine Liebe und Ehrfurcht für den Stifter des Christentums durch irgendetwas öffentlich bezeugt zu haben. Dein treuer Vater."

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019