Predigt am Pfingstmontag, den 24. Mai 2021, 1 Kor 12, 4-11

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. 5 Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. 6 Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. 7 Durch einen jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller. 8 Dem einen wird durch den Geist ein Wort der Weisheit gegeben; dem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist; 9 einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; 10 einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen. 11 Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will. 1 Kor 12, 4-11

 

Ich möchte noch einmal das herrliche Bildwort aus dem Johannesevangelium (Joh 7,37-39) aufgreifen, das vor einer Woche, am Sonntag Exaudi, eine Rolle spielte. Dort war gesagt worden, dass der Heilige Geist, der der Christenheit geschenkt werden soll, einem lebendigen Quell vergleichbar sei, der mitten in der Dürre des Daseins entspringt. Christus hatte gesagt, er selbst sei wie solch eine Quelle. Er verhieß den Jüngern seinen heiligen Geist, er verschenke ihn freimütig an die, die ihm vertrauten. Wer an ihn gläube, hatte er weiter gesagt, lebe in diesem Geist und könne gar nicht anders, als ihn wiederum zu verschenken. Es sei, als brächen im Gläubigen neue Quellen auf, so dass "Ströme lebendigen Wassers" (Joh 7,38) von seinem Leib flössen. Soweit die Verheißung, um welche es am letzten Sonntag ging.

 

Ein Gottesdienstbesucher hat mich an der Türe nach dem Gottesdienst gefragt, was das wohl zu bedeuten habe. Würde über dem Wirken des Heiligen Geistes das eigene Ich, die Persönlichkeit oder Identität ganz und gar ausgelöscht, so dass man wie von einer fremden Macht in Besitz genommen sei? Der Heilige Geist also als Substitut dessen, was mich im Innersten ausmacht?

 

Im ersten Augenblick dachte ich: Ja, es gibt einige Aussagen in der Heiligen Schrift, die in diese Richtung interpretiert werden könnten. Vielleicht dachte er an solche Stellen, wie z. B. das berühmte Wort des Apostels Paulus: "Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben." (Gal 2,20)

 

Ich musste die ganze Woche über noch an diesen Einwand denken. Ich finde, er berührt einen wichtigen Punkt. Was macht der Geist Gottes in oder mit mir, wenn er vom Himmel auf die Erde herabkommt und in mir wirkt? Denn dass er uns geschenkt ist und in uns wirkt, leidet keinen Zweifel. Wir sind doch getauft. Also haben wir den Heiligen Geist. Das ist klar.

 

"Es sind verschiedene Gaben, aber es ist ein Geist". So beginnt der berühmte Abschnitt aus dem 1 Korintherbrief. Und dann werden, wenn ich richtig gezählt habe, neun Gaben benannt: Weisheit, Erkenntnis, Glaube, Heilung, Wundertaten, Prophetie, Distinktionsvermögen, Zungenrede und ihre Auslegung. Sind diese Gaben ausschließlich zu verstehen? Oder wäre es im Sinne des Apostels, wenn man diese Aufzählung beispielhaft auffasste, sie aber noch ausweiten dürfte? Dann müsste sich bei jedem Getauften eine solche Geistesgabe finden, die ihn kennzeichnet und die etwas ganz Besonderes ist.

 

Ich möchte daran erinnern, dass der Geist Christi etwas Entfesselndes hat. "Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen". (Gal 5,1) Wo also der Heilige Geist wirkt, muss das freigesetzt werden, das zuvor geknechtet und gebunden war. Der Geist, dem wir vertrauen, entfesselt Möglichkeiten, die vorher unvorfindlich, ja ganz und gar undenkbar waren.

 

Ich dachte weiter, man könnte unseren heutigen Paulustext und den aus dem Johannesevangelium aufeinander beziehen und beide miteinander kombinieren. Im Bild gesprochen: Die verschütteten Ströme lebendigen Wassers, die nach der Verheißung Christi von uns fließen sollen, sind diese ganz verschiedenen Gaben, die der Heilige Geist in jedem von uns entfesselt. Diese Entfesselung zu unserer eigentlichen Bestimmung nach Gottes Willen ist ein pfingstliches Schöpfungswunder. Denn unter der Wirkung des Heiligen Geistes bemerke ich allererst, was ich gut kann, was mir liegt, was mir Freude macht, was ich unbedingt tun möchte, wo meine ganz einzigartige Stärke liegt. Und unter der Wirkung des Heiligen Geistes findet der Ängstliche Mut, der Niedergeschlagene Kraft und der Traurige Trost. Es liegt eine Leichtigkeit über diesem Wirken, die die Dinge zurecht bringt und uns die Schönheit und die Lebendigkeit unseres Lebens zurückschenkt.

 

Indem uns der Heilige Geist beruft und mit seinen Gaben erleuchtet, befreit er uns zu einem starken Glauben, auf dass wir leben. Es mag am Pfingstmontag, an dem nicht die rauschende Herrlichkeit es ersten Pfingsttages im Vordergrund steht, sondern die nachdenkliche Stille ihren Platz hat, eine Anregung sein, einmal in sich hineinzuhören, wo und wie der Heilige Geist in mir wirkt und was er will,  dass ich es tue. Ich glaube fest daran, dass wir Gott hören können und sollen, wie er erst ganz leise und vorsichtig, dann immer stärker und schließlich mit großer Klarheit seien Willen in uns kundtut. 

 

Um auf die Frage zurückzukommen: Ich glaube nicht, dass der Heilige Geist unser Wesen substituiert oder ersetzt, dass wir nicht mehr wir selbst sein dürften. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Er legt frei und entfesselt, was wir selbst nie tun könnten. Er sorgt dafür, dass wir uns selbst finden, wie Gott uns gemeint hat, die wir uns verloren hatten. Er führt uns zu unserer ureigensten Bestimmung, indem unter seiner Wirkung unsere besonderen Gaben hervorbrechen wie Ströme lebendigen Wassers.

 

Herr Gott, entfessele deine Kräfte in uns, so dass deine mannigfachen Gaben uns erleuchten und wir danach tun.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019