Predigt am Sonntag Jubilate, den 25. April 2021, Apg 17,22-34

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Predigt am Sonntag Jubilate, den 25. April 2021

 

22 Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. 23 Denn ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. 24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. 25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. 26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, 27 dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. 28 Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts. 29 Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht. 30 Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. 31 Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er richten will den Erdkreis mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat. 32 Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. 33 So ging Paulus weg aus ihrer Mitte. 34 Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen. Apg 17,22-34

Zwei kleine Erlebnisse aus der vergangenen Woche.  Erstens: Ein Freund aus Leipzig, den ich lange nicht gesprochen habe, schrieb eine kleine E-Mail, in der es heißt: "Jeden Morgen beim Nachrichtenhören muss ich mich entweder kratzen oder zwicken oder am Ohr zupfen, um mich wieder zu erden nach dem soeben Gehörten. Hoffentlich wird das kein Tick." Er meint die unsägliche Corona-Berichterstattung. Ich musste lachen, denn es hat mir gut gefallen, wie er das Entsetzen in Ironie kleidet. Es steckt doch etwas Ernstes dahinter. Was ist das nur in dieser Welt?

 

Zweitens: Montags habe ich immer Religionsunterricht zu erteilen. So auch in der vergangenen Woche. Irgendein Schüler hatte sich ein Späßchen erlaubt. Wollte er mich ärgern? Oder herausfordern? Wer weiß. An der Tafel stand jedenfalls in riesigen Lettern geschrieben: "GOTT IST TOT". Darunter "Friedrich Nietzsche, Sohn eines lutherischen Pfarrers".

 

Ich denke, das trifft so etwa die Überzeugung weiter Teile des deutschen Volkes, ja der europäischen Welt. Es gibt scheint's viele Menschen, denen nicht einmal die sichtbare Welt der geschaffenen Materie in ihren mannigfachen Verbindungen und Entfaltungen mehr ein Staunen entlockt, geschweige denn die unsichtbare Welt der Seele und des Geistes. Es ist so, als gäbe ihnen ihr Dasein gar nicht mehr zu denken, so dass sie über sich hinaus fragten, etwa nach der Art der berühmtem Kantschen Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Und was ist eigentlich der Mensch? Alle diese Fragen schenken dem, der sie stellt, ein demütiges Staunen und führen ihn notwendig tief und tiefer in die Suche des Geheimnisses Gottes hinein.

 

Wenden wir uns dem Apostel Paulus zu, seinem berühmten Auftritt auf dem Areopagfelsen in Athen. (https://www.trip2athens.com/de/see-n-do/attractions/archeological/attraction-436/) Man stelle sich das einmal vor. Der traut sich was. Aber wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Das wollen wir uns als erstes merken, dass auch wir weitergeben, was in unserem Herzen lebt. Wir sollen und müssen vom Heil der Welt reden, wenn es in uns lebendig ist.

 

Wie macht das der Apostel? Er knüpft an. Die Ausgangssituation, scheint es auf den ersten Blick, ist etwas anders geartet als unsere. Der Apostel fand, er erzählt es selbst, eine polytheistische Welt vor und predigte die Reduktion. Heute scheint es umgekehrt zu sein; wir leben in einer Welt der Gottlosigkeit. Mancher meint, es gelte umgekehrt das Bewusstsein von Gott allererst wieder zu wecken. Ist das richtig so? Ich bin mir nicht sicher.

 

Der Apostel Paulus hält jedenfalls fest: nicht viele Götter gelte es zu suchen, schon gar nicht irgendeinen unbekannten, sondern den einen, einzigen und wahren. Gott muss ja einer sein, weil die Vielzahl der Götter notwendig in eine irritierende Götterkonkurrenz führen muss, bei der oben und unten, wichtig und unwichtig, wahr und falsch verschwimmt. Denn in der Vielgötterei bleibt ja nur die ohnmächtige Geschwätzigkeit, die eben ganz nach Gusto allen möglichen Göttern huldigt.

 

Nun, wenn man es so auffasst, leben wir heute durchaus in einer Welt polytheistischer Unübersichtlichkeit, wie auf einem Marktplatz, vollgestopft von Götzen. Manche versprechen ekstatische Erfüllung, andere ängstigen die Leute, wieder andere versprechen ein Heilmittel gegen den schnellen Tod usw. Jeder prüfe sich selbst, woran er sein Herz hängt. Unablässig greifen ideologische Gottheiten nach uns, dem so elend geplagten, verführten Volk. Man kann sie u. a. daran erkennen, dass sie sich heilsnotwendig gebärden. Aber sie sind es nicht. Sie sind lauter Lug und Trug. So kann es geschehen, dass in einer Welt, die vollgestopft von Götzen ist, Gott selbst tot ist. Ja, es ist traurig, in diesem Sinne ist Gott tot. Denn eine sich in polytheistischer Götzenanbetung gefallende Welt hat sich Gottes beraubt. Sie hat ihn über dem Vielerlei verloren.

 

Ein Christ merkt, dass hier etwas ganz grundsätzlich nicht stimmt und widersteht fest im Glauben. Er fragt nach dem einigen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart und im Heiligen Geist gegenwärtig und wirksam ist. Ja, das Hören auf ihn und sein Wort bleibt unsere große, lebenslange Aufgabe.

 

Es fällt weiter auf, dass von Anfang an der Ruf zur Umkehr vom falschen Weg und die Ankündigung eines Strafgerichts im Raum stehen. Paulus ist hier ganz deutlich. Ich bin kein Freund davon, dem Ungläubigen mit dem Gerichtstag Christi zu drohen, obwohl ich glaube, dass es ihn einst geben wird. Der Glaube kann ja nicht durch Angst geweckt werden. Denn er ist wesentlich Überwindung von Angst. Das macht ihn ja so stark. Aber der Unglaube begibt sich selbst in die Angst, er wählt die Angst und verschafft den Götzen Macht und Einfluss über das eigene Leben. Das allein ist schon ein schlimmes Strafgericht, sich des göttlichen Heiles, dessen wir doch so bedürftig sind, zu begeben.

 

Götzen Macht zu geben, bedeutet den Tod Gottes. Der Tod Gottes aber gleicht dem Gericht einer unheilvollen Hoffnungslosigkeit. Nein und aber nein. Da machen wir nicht mit. Das ist ja närrisch, toll und wahnsinnig.

 

Dem anonymen Tafelschreiber in der Schule habe ich geantwortet. Ich habe an die Tafel geschrieben: "Gott ist tot - wer so redet, hat nicht bedacht, dass dies die Worte eines wahnsinnigen und närrischen "tollen Menschen" sind, der am hellerlichten Tage mit einer Laterne in der Hand über einen belebten Marktplatz irrt und die amüsierten Passanten des Gottesmordes zeiht. (Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, Aphorismus 125) Es ist ja gerade das Problem, dass närrisches Denken so redet."

 

Aber tun wir nicht so, als wären wir nicht auch zuweilen anfällig für die Götzen und ihr Treiben. Da hilft nur eins, man muss sich kratzen oder zwicken oder an der Nase ziehen, um sich wieder zu erden.

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019