Predigt am Sonntag Sexagesimae, den 7. Februar 2021

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus jeder Stadt zu ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis: Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf. Und anderes fiel auf den Fels; und als er aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte Und anderes fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's. Und anderes fiel auf das gute Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre. Lk 8,4-8

 

Über dieses berühmte Gleichnis "vom viererlei Acker" aus dem Munde Jesu ist so viel geschrieben worden, dass man Bibliotheken füllen kann. Es fällt nicht leicht, noch einen neuartigen Akzent zu setzen. Dazu kommt noch das eisige Wetter und Schneetreiben in diesen Tagen, das uns das Bild eines Sämanns und der Aussaat in die Ferne rückt. Wir müssen also schon in den März hinübersehen und in Gedanken schon etwas in die Zukunft springen, um uns die Bildwelt des Gleichnisses zu vergegenwärtigen.

 

Vielleicht hilft ein Blick in die Kunst. Als ich das Gleichnis las, tauchte sogleich vor meinem inneren Auge ein berühmtes Bild auf. Fast jeder kennt es oder hat doch wenigstens eine verschwommene Vorstellung davon. Es stammt von Vincent van Gogh und heißt "Der Sämann bei Sonnenuntergang" (Le Semeur au soleil couchant). Er hat es 1888 in Arles gemalt. Die Sehnsucht nach Sonne und Licht hatte ihn in Frankreichs Süden verschlagen. Hier entdeckt er das Motiv des Sämanns, das er vielfach ausführt. Seinem Bruder schreibt er damals, dass er schon fünf Anläufe unternommen habe, sich diesem Motiv anzunähern.

 

Mehrere Darstellungen des Sämanns von van Gogh haben sich bis heute erhalten. Aber unser Exemplar, das den Sämann bei Sonnenuntergang zeigt, und das sich heute in Zürich befindet, ist wohl das berühmteste geblieben. Es ist im Aufbau ganz klar und schlicht. Ein knorriger Baum schneidet das Bild diagonal. In der linken Hälfte schreitet uns der Sämann entgegen, der in herrlichem Schwung eine Handvoll Samen auswirft. In seinem Rücken steht der Sonnenball, der, im Untergang begriffen, schon fast den Horizont berührt. Rechts des Baumes verliert sich die Landschaft in der Ferne. Alles vibriert in den flirrenden Komplementärfarben von Gelb/Violett, Rot/Grün und Blau/orange. (https://www.buehrle.ch/fileadmin/_processed_/1/5/csm_van_Gogh_Saemann_fc051e1965.jpg)

 

Der Sämann muss säen, damit die Erde Frucht bringt, denn ohne Saat ist keine Ernte. Im übertragenen Sinn trifft uns das Gleichnis hier unmittelbar. Denn alle möchten gern Frucht bringen. Jeder Mensch strengt sich an, wenigstens dann uns wann. Er liebt es zu säen und, wenn Erntezeit ist, die Früchte seiner Arbeit einzubringen. Dann sagt er gern: Ach schön, das ist meiner Hände Werk. Hier hatte ich etwas begonnen, das zu einem guten Ende geführt hat. Es lag ein Segen darauf.

 

Der Evangelist Lukas gibt für das Gleichnis "vom viererlei Acker" auch gleich eine Deutung mit. Er lässt sie Christus selber geben, der das Wort Gottes als Saat bezeichnet, das je nach dem, wo es hinfällt, Frucht bringt oder nicht. Das ist bestimmt eine gute Deutung, denn wo uns unsere Mühe zum Segen ausschlägt, hat die Kraft des göttlichen Wortes und Willens geholfen und gewirkt.

 

Bei all dem fragt sich: Wer ist der Sämann? Gott oder wir Menschen, denen Gott sein lebendiges Wort anvertraut hat? Ich kann mir vorstellen, dass Christus auch vom Menschen redet, der das Wort Gottes verkündigt und ausbreitet, auf dass es Frucht bringe.

 

Von Vincent van Gogh ist bekannt, dass er im Sämann die "Sehnsüchte nach dem Unendlichen" verkörpert sah. (Vincent van Gogh an Émile Bernard, um den 22. Juni 1988, nach: Herzogenrath, Felder, 130) Was meint er damit? Sieht er in ihm einen menschlichen Archetypus, der sein Werk auf Hoffnung hin tut. Das wollen wir als erstes festhalten, dass aus dem Kleine Großes und aus dem Wenigen Vieles werden soll. Es ist eigentlich eine banale Einsicht, aber unter den Anstrengungen des Alltags vergessen wir das mitunter. Die Saat, die uns gegeben ist, allem voran das lebenstiftende Wort Gottes, sollen wir unverdrossenen Schrittes mit voller Hand und kühnem Schwung übers Land werfen.

 

Das Zweite: Gott ist großzügig. Der Samen darf verschwenderisch und breitflächig ausgeworfen werden. Wir sollen damit nicht knausern. Das muss deshalb erinnert werden, weil ja so viel daneben fällt. Ganz offensichtlich soll manches nicht gedeihen. Aber das hat uns nicht zu interessieren. Ganz offensichtlich ist es dreimal wahrscheinlicher, dass der Same auf Weg, Fels oder im Gestrüpp landet. Es ist nicht verwunderlich, dass er dort nicht fruchtet.

 

Auch bei mir selber nicht oder in mir selber. Es ist ja auch wahr, sich selbst zu prüfen und nüchtern festzuhalten, dass zuweilen das Wort Gottes in mir nicht Frucht gebracht hat, leider. Mein Herz, mein Geist und mein Sinn, sie glichen dann und wann jenem Weg oder Felsen oder Dornengestüpp, so dass das Wort Gottes nicht zum Zuge kam. Ja, es ist wahr, aber sollte ich auf ewig deshalb hadern und mich ärgern? Der Sämann geht weiter, er geht immer Jahr von neuem los. Es gilt immer die Frucht auf Hoffnung hin. 

 

Zum dritten: Der Same fällt. Der Sämann lässt ihn aus der Hand, er findet seinen guten Ort - oder nicht. Es ist nicht der Sämann, der macht, dass das Korn, wenn es ausgebracht ist, aufgeht und Frucht bringt. Er hat seine Pflicht getan. Nun ist er frei. Was daraus wird, das steht in eines anderen Hand. Dort soll es stehen bleiben. Gott wird dafür sorgen. Der Sämann soll nur immer weiter gehen und tun, was ihm aufgetragen ist, denn das genügt.

 

Er soll weiter gehen, auch wenn die Sonne schon sinkt. Der Titel des van Goghschen Bildes ist mit das schönste am Bild: "Der Sämann bei Sonnenuntergang". Erst bei Sonnenuntergang war er zur Aussaat gekommen, vorher war es nicht zu schaffen gewesen. Es war ein weiter Weg bis dahin, dass endlich gesät werden konnte, lang und mühevoll. Es war der Acker zu pflügen und Steine wegzuräumen, die wie von selbst nachwachsen. Nun aber, da der Sonnenball schon fast den Horizont berührt, muss das Korn noch in die Erde, auf dass es fruchte. Er schiebt es nicht auf. Wer weiß, ob Wind und Wetter die Aussaat morgen noch zulassen. Bleibt es beim Sämann, bringt sie niemals Frucht. Ja, selbst bei Sonnenuntergang ist es nicht zu spät. Denn die Hauptsache ist, dass die Saat in die Erde kommt.

 

Im übrigen bitte ich Gott, dass er unser Volk und die Völker Europas im Wort Gottes neu wachsen lässt, ansonsten verlieren sie sich selber.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019