3. Advent, Sonntag, den 13. Dezember 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Und Zacharias wurde vom heiligen Geist erfüllt, weißsagte und sprach:

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!

denn er hat besucht und erlöst sein Volk

und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils

im Hause seines Dieners David. (Lk 1,76-69)

 

Ist das Schweigen eine Lust oder eine Last? Beides ist denkbar. Ich habe das eine wie das andere erlebt.

 

Besonders eindrücklich sind mir aber die wenigen Gelegenheiten geblieben, zu denen ich habe schweigen dürfen und nicht reden müssen. So habe ich im Laufe der Zeit immer einmal einen Tag lang den Mund halten müssen bei Retraiten oder einzelnen "stillen Tagen". Das sind ganz außerordentlich segensreiche Erfindungen. Da ist das Schweigen vorgeschrieben, auch beim Essen und überhaupt. Ich erinnere mich deutlich, dass ich jedes Mal nach einem solchen Tage dachte: "Alter Freund, wie war das schön; du redest zu viel."

 

Woher kommt das nur, dass wir meinen, wir müssten immerzu reden, auch wenn wir eigentlich gar nichts zu sagen haben? Denn meistens haben wir nicht so schrecklich viel zu sagen. Wir füllen die Zeit trotzdem durch allerlei Gerede. Es muss eine Spielart des "Horror vacui" sein, die uns hier leitet.

 

Zacharias ist der Vater von Johannes dem Täufer. Ihm wird vom Erzengel Gabriel die Geburt eines Sohnes angekündigt, als er im Tempel ein Räucheropfer darbringt. Im Ergebnis des Zwiegesprächs mit dem Engel heißt es: "Und siehe, du wirst stumm werden und nicht reden können ..." (Lk 1,20) Der Erzengel begründet dies mit den Worten: "... weil du meinen Worten nicht geglaubt hast." (ibid.)

 

Das Wort Gottes, wo es sich hören lässt, kann, so nehme ich an, durchaus eine Zumutung sein, der im ersten Augenblick nicht geglaubt wird. Es wird also nicht selten kleingläubig aufgenommen. Es verbietet sich ein hartes Urteil über den, der ihm nicht sogleich folgen kann. Es gehört in das übergroße Arsenal der Barmherzigkeiten Gottes, dass er dem Menschen Zeit lässt, "nachzusinnen über sein Wort Tag und Nacht". (Ps 1,2) So bleibt noch Hoffnung für die "Gemeinschaft der Heiligen", d. h. die Kirche, dass sie es irgendwann begreifen. Das mag damals nicht anders gewesen sein als heute.

 

Zacharias hat nun Zeit, sich in Ruhe zu überlegen, was es auf sich hatte mit der Botschaft des Erzengels. Es ist nicht ganz deutlich, warum er nicht reden konnte. War es eine Lähmung der Zunge? Oder vermochten sich die Gedanken nicht mehr zu Worten und Sätzen zu fügen, so dass beim Versuch zu reden nur ein wirres Gestammel herausgekommen wäre? Wir wissen es nicht.

 

Was wir aber wissen ist, dass anlässlich dem uralten Ritus der Beschneidung seines Sohnes sich seine Zunge löste und die Gedanken sich ordneten und ein wahrer Strom von Rede über seine Lippen ging. Das berühmte "Benedictus" ist dabei herausgekommen, ein Psalm des Lobes und der Verheißung, der seinesgleichen sucht. Die Kirche pflegt ihn täglich in einem der Stundengebete, dass er ihr niemals entfalle. 

 

Ein einfacher Mensch hätte, nachdem er die Sprache wiedergefunden hatte, gesagt: "Schau einer an, ich kann jetzt wieder reden". Wahrscheinlich hätte er die ganze Zeit von sich selbst geplaudert.

 

Nicht so der ehrwürdige Priester Zacharias. Der gehörte zu einer anderen Sorte von Menschen. "Die meisten von uns ... bleiben wie Fallholz, das der Sturm und Schnee von den Bäumen brachen. Sie liegen, wo sie gefallen sind, und werden wieder zu Erde ... Aber einige sind wie das Holz, das dort unter der Erde glüht. Sie werden Kohle, und sie bewegen die Welt." (so der Köhler Jakob bei Ernst Wiechert, Die Jeromin-Kinder, 1960, S. 13)

 

Das schweigende Nachdenken hatte ihn gelehrt, dass er einer Botschaft gewürdigt worden war, die von so grundsätzlicher und außerordentlicher Wichtigkeit war, dass er sie nicht zurückhalten konnte noch durfte. So gleichen seine Worte, als ihm die Zunge gelöst wurde, einem feurigen Lied des Lobes und der Verkündigung des Heiles Gottes für die geplagte Welt.

 

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!

denn er hat besucht und erlöst sein Volk

und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils

im Hause seines Dieners David.

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019