Gedanken zum Johannistag, den 24. Juni 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Jesus sprach: "Denn Johannes ist gekommen, aß nicht und trank nicht, und sie sagten: Er ist von einem Dämon besessen. Der Menschensohn ist gekommen, isst und trinkt, und sie sagen: Siehe, dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!

Und doch ist die Weisheit gerechtfertigt worden aus ihren Werken." Mt 11,18-19

 

Dieses Wort Jesu rührt an eine ernste Frage. Wir kennen sie alle: Warum ist es so vielen Menschen, egal was passiert, einfach nicht recht zu machen? Warum erwarten sie immer eine Bestätigung ihrer Person und ihres Weges und werden ungemütlich, wenn sie die nicht bekommen? Wie kommt es, dass sie, im Gegenteil, stets gute Gründe finden, um gleichermaßen das eine wie das andere zu verurteilen?

 

Wahrscheinlich ist das so, weil es eine Zumutung ist, sich ändern zu sollen, das Leben auf die Wahrheit hin zu prüfen und, wenn es angezeigt ist, umzukehren vom falschen Wege. Die erste der berühmten 95 Thesen Martin Luthers ist aktuell wie je: "Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: 'Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen', wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei."

 

Die Gestalt Johannes des Täufers bleibt im Halbdunkel. Es gibt nur Randnotizen zu ihm. Dazu gehören auch einige versprengte Worte Jesu. Sie zeigen aber, dass er ihn sehr hoch schätzte. Das wird schon daran deutlich, dass er sich zu Beginn seines Wirkens in seinem Kreis befand. Er stand seiner schroffen Predigt zur Umkehr nahe. Das Erlebnis der Taufe, des geöffneten Himmels und der Stimme des Geistes Gottes, die sprach: "Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe" (Mt 11,17) verbindet die beiden für immer.

 

Dass es nur wenige Hinweise sind, die wir zu Johannes dem Täufer besitzen, passt zu dieser Person. Er lebte im Rückzug, in der Reduktion, im Verzicht auf Karriere, Wohlstand und Bedeutung. Er steht für alles das, was unsere auf Bequemlichkeit und Lebensgenuss abgerichtete Welt nicht liebt. Er ist vor allem interessant in seiner Verweigerung des Zeitgeistes. Er war ein Antimodernist. Was alle machen, gut finden, benutzen und haben müssen, das empfand er als abartig, irreführend und gottlos.

 

Johannes sucht den Kern der Dinge, den Sinn, das Ziel, den springenden Punkt. Man stelle sich vor, wie es auf die Frommen, die Pharisäer und Sadduzäer gewirkt haben muss, als sie an den Jordan zu ihm kamen und er ihnen entgegenschleuderte: "Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Frucht der Buße! ... Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt." (Mt 3,7-8.10)

 

Johannes ist in der breiten Öffentlichkeit auf Ablehnung gestoßen. Er sei von einem Dämon besessen, habe sie dann gesagt. Er gehört in die Psychiatrie, denn wer uns nicht zustimmt, muss krank sein. Und als er noch zudringlicher wurde, hat man dafür gesorgt, dass er für immer schweigt. Kritiker, die gegen die öffentliche Meinung wettern, werden mundtot gemacht. Wir brauchen uns also gar nicht zu wundern, dass sich das über die Jahrtausende hin nicht groß geändert hat.

 

Jesus von Nazareth war angeregt von der Botschaft des Johannes - und ist doch weit über sie hinausgegangen. Seine Verkündigung, vor allem die Rede vom geheimnisvollen Reich Gottes und das überraschende "ich aber sage euch" seiner Gesetzesauslegung geht über den Ruf zur Umkehr weit hinaus. Er war kein Asket. Im Gegenteil. Er aß und trank mit Freuden. Er zog sich nicht in die Einsamkeit der Wüste zurück. Im Gegenteil, er suchte die Nähe der Menschen in Dörfern und Städten.

 

Beides gefiel den Menschen, die immer Recht haben, nicht. Vom einen sagten sie, der ist ja verrückt. Den anderen nannten sie einen Prasser mit zweifelhaftem Umgang. Sie haben gesucht und einen Punkt gefunden, der ihre Ablehnung halbwegs ermöglichte. Dabei haben sie weder auf die Botschaft des einen noch des anderen gehört. Sie haben gar nichts verstanden.

 

Christus hält mit Blick auf Johannes und sich selbst abschließend fest: " Und doch ist die Weisheit gerechtfertigt worden aus ihren Werken." Beide lebten im Einklang mit ihrer Botschaft. Der Bußprediger als Asket, der Verkünder des Gottesreiches in Gemeinschaft mit denen, die er in dieses Reich des Glückes berief.

 

Was bedeutet das für uns? Es ist nötig, nach dem Willen Gottes zu fragen. Darin gewinnen wir Weisheit. Erschließt sich der Wille Gottes sich, ist es gut und richtig, nach ihm auch zu leben: Der eine als Asket, der andere im Genuss der Güter Gottes. Daran ist nichts schlimm, so gewiss es keine gestanzte Einheits-Gesinnung und Einheits-Lebensführung gibt. Das wäre ja furchtbar.

 

Nur das oberflächliche Mittrotten, das nicht nach der Wahrheit des göttlichen Wortes fragt, das gedankenlose Mitschlendern auf ausgelatschten Wegen, das irgendwie bequem oder schick ist, das unterzieht Christus einer Kritik. Es ist ungerechtfertigt und töricht.

 

So klingt in der Lieblichkeit des hochsommerlichen 24. Juni eine ernste Frage an. Der Tag ist lang, damit viel Zeit bleibt, ihr nachzusinnen bis in die laue Nacht hinein.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019