Predigt am 3. Advent 2022, Jesaja 40,1-11

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Predigt am 3. Advent 2022, Jesaja 40,1-11

 

1 TRöstet / tröstet mein Volck / spricht ewer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich / vnd prediget jr. Das jre Knechtschaft ein ende hat / Denn jre missethat ist vergeben / Denn sie hat zwifeltiges Nemlich / Vergebung der sunden / vnd Freiheit vom Gesetze Mose. Das ist / eitel gnade fur Sunde / leben fur tod etc. empfangen von der Hand des HERRN / vmb alle jre Sünde ...  6 ES spricht eine stimme / Predige / Vnd er sprach / Was sol ich predigen? Alles Fleisch ist Hew / vnd alle seine Güte (Güte ist alles wolthun oder gutes Leben / so vernunfft vermag vnd thut.) ist wie eine Blume auff dem felde. 7 Das Hew verdorret / die Blume verwelcket / Denn des HERRN geist bleset drein. Ja das Volck ist das Hew / 8 Das Hew verdorret / die Blume verwelckt / Aber das Wort vnser Gottes bleibet ewiglich. 9 ZJon du Predigerin steig auff einen hohen Berg / Jerusalem du Predigerin heb deine stim auff mit macht / heb auff vnd fürcht dich nicht / Sage den stedten Juda / Sihe / da ist ewer Gott. 10 Denn sihe / der HErr HERR kompt gewaltiglich / vnd sein Arm wird herrschen / Sihe / sein Lohn ist bey jm / vnd seine Vergeltung ist fur jm. 11 Er wird seine Herd weiden wie ein Hirte / Er wird die Lemmer in seine Arme samlen / vnd in seinem Bosem tragen / vnd die Schafmüttere füren. (Übersetzung Martin Luther, 1545)

 

Ich erinnere mich an eine kleine Traumsequenz von heute Morgen. Es war nur ein Splitter von einem Traum; eigentlich ist in ihm nichts passiert. Aber das ist gerade das Beunruhigende. Ich war im Begriff vor die Haustür zu treten. Wie ich die Tür verschließe und mich umwende, steht plötzlich ein alter, guter Freund vor mir. Ich habe ihn lange nicht gesehen. Er spricht kein Wort, sondern sieht mich nur mit großen, ernsten Augen an. Wir stehen uns eine Weile wortlos gegenüber. Dann bin ich aufgewacht. Ein harmloses Traumgesicht. Aber jeder Traum trägt eine eigene Stimmung in sich. Und über diesem lag eine große, tiefe Traurigkeit.

 

Vielleicht klingt in einem solchen Traum ein Telefongespräch nach, das ich vor einiger Zeit mit meinem Freund hatte. Er sagte, es fiele ihm immer schwerer, ans Telefon zu gehen, weil ihn schon geraume Zeit eine garstige Depression quäle. Er wisse gar nicht, woher die komme, denn es sei eigentlich gar nichts passiert. Aber wie ein garstiger Schatten beherrsche ihn eine düstere Trostlosigkeit. Ich habe versucht, nach Kräften dagegen anzureden. Aber noch im Reden habe ich gespürt, wie wenig meine Worte taugen und dass ich mich in oberflächlichen Phrasen verliere. Es ist ein schweres Amt, jemandem Trost zuzusprechen.

 

Mir scheint, dass unser Predigttext ein Zwiegespräch widergibt. Es spricht eine "Stimme" mit einem "ich", d. h. die Stimme Gottes mit dem Propheten Jesaja. Die Stimme sagt: "Tröste und predige!" Aber der Prophet weiß nicht, wie er trösten und was er predigen soll. Er macht einen gewichtigen Einwand geltend. Er sagt: "Was soll ich denn predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, denn des Herrn Odem bläst darein!" Es ist alles so sinnlos. Ob ich etwas sage oder schweige, etwas tue oder unterlasse, das spielt am Ende gar keine Rolle. Alles zerfließt und verrinnt ins Nichts. Es hat keinen Zweck.

 

Ich gestehe, dass mir dieser Dämon zuweilen auch im Nacken sitzt. Je absurder die Entäußerungen dieser Welt werden, desto lauter raunt er mir ins Ohr. Und diese Welt wird tagtäglich absurder, wohin man auch blickt. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die im Begriff sind, angesichts der obwaltenden Mächte die Flinte ins Korn zu werfen und, mit dem letzten sächsischen König, den man in Dresden gern zitiert, sagen: "Macht euern Dreck alleene." Ist das die einzige Möglichkeit die bleibt? Jesaja war nicht weit weg davon, als die "Stimme" zu ihm sprach.

 

Und doch wird er eines Besseren belehrt. Weh dem, der auf halbem Wege stehen bleibt. Zwar wird dem Jesaja durch die "Stimme" Gottes bestätigt, dass alle Kreatur dem Grase gleiche, das verdorre oder der Blume, die verwelke. Das muss wahr bleiben. Jedoch setzt sie dann das Allerwichtigste noch hinzu: "Aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich". Wer ganz und gar in der irdischen Endlichkeit aufgeht, wird tragischer Weise die Ewigkeit verlieren.

 

Das ist eine spektakuläre Behauptung. Wenn das stimmt, dann wird das Wort Gottes niemals zum Schweigen zu bringen sein. Nicht einmal die Hochbegabten an den Schaltstellen von Macht, Geld und Propaganda werden je in der Lage sein, es zum Verstummen zu bringen, so sehr sie sich auch abrackern. Es wird sich Bahn brechen. Das ist eine außerordentliche gute Nachricht.

 

Man mag einwenden: Aber vor Augen steht uns Menschen, dass die Mächte der Welt das Sagen haben und hemmungslos herumfuhrwerken. Nun, das lass gut sein. Es ist Ausdruck unseres menschlichen Kleinglaubens, sich von den irdischen Mächten in den Bredouille bringen zu lassen. Vor dem Wort Gottes können sie nichts, sind sie nichts und haben sie nichts. Es kommt die Stunde, in der ihre glänzenden Vorhaben wie Lumpen zerfallen. Das ist gewiss.

 

Das Problem ist die Vergesslichkeit, die uns manchmal heimsucht. Davor ist niemand gefeit. Denn sich auf die Endlichkeit festnageln zu lassen, geht desto flotter, je dreister sie uns über den Hals kommt. Da kommt ein Prophetenwort wie das des heutigen Sonntags gerade recht.

 

Was sagt nun die "Stimme" dem Propheten-"Ich"? Dreierlei; drei Punkte kann man sich gut merken. Die drei Aussagen hängen fein miteinander zusammen, und zwar so, dass sich eine aus der anderen ergibt.

 

Am Anfang steht: "Fürchte dich nicht!" Diese Aufforderung ist wie ein roter Faden durch die Heilige Schrift. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen, denn zu diesem Zuspruch gibt stets Anlass. Das Leben in der Angst ist ein elendes.

 

Sodann fällt der emphatische Hinweises: "Siehe, da ist euer Gott!" Gott wird sichtbar und damit zum Garanten aller Furchtlosigkeit. Oder kurz gesagt: Wer Gott vertraut, ist ohne Furcht.

 

Und schließlich "der Herr wird herrschen", d. h. die fragilen Gegebenheiten meines Lebens, die zu erhalten meine Kräfte nicht ausreichen, so bewahren, dass sie mir zum besten dienen.

 

Gott wurde in Jesus Christus in unsere absurde Welt hinein geboren, um sichtbar zu werden, uns die Angst vorm Leben und Sterben gleichermaßen zu nehmen und uns seiner schützenden Herrschaft zu unterstellen. Das glauben wir für gewiß.

 

Dieser dreifache Anlauf Gottes hat den tiefen Sinn, uns geplagte Menschenkinder zu trösten und zu stärken, so dass wir auch die trösten können, die uns anvertraut sind. 

 

Im übrigen meine ich, dass die Völker Europas trostlos im Nichts verrinnen, wenn sie sich nicht dem Tröster zuwenden, den Gott in diese Welt gesandt hat. 

 

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019