Predigt zu Epiphanias, den 6. Januar 2021, Jes 60,1-2

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Jes 60, 1-2

 

In unserem Predigttext spielt das Licht eine besondere Rolle. Vom alten Philosophen Diogenes aus dem 5. Jh. v. Chr. wird berichtet, dass er einmal am hellerlichten Tage auf dem belebten Marktplatz von Athen mit einer brennenden Laterne herumgeirrt sei und gerufen habe: "Ich suche einen Menschen, ich suche einen Menschen". ("λύχνον μεθ' μέραν ψας, 'νθρωπον,' φησί, 'ζητ.'" Diogenes Laertius, Vita philosophorum, 6.41)

 

Diogenes ist berühmt geworden als einer der ersten Aussteiger, Quertreiber und klugen Narren der Weltgeschichte. Er lebte höchst absonderlich in einer Tonne, trank ärmlich aus der Scherbe eines zerbrochenen Kruges und machte von sich reden in Aussprüchen und Zeichenhandlungen, die scheinbar alles auf den Kopf stellten, was die Mehrheit üblicherweise so denkt. Man hat ja manchmal den Eindruck, dass die Menschheit sich gern an die Hand nehmen lässt und denkt, fühlt und glaubt, wie es ihr Mode und Mehrheit vorgeben. Das muss mit der Trägheit der Masse zu tun haben, die nicht nur in der Physik gilt. Diogenes aber gehörte nicht dazu, im Gegenteil, er gab sich Mühe, die Leute aus ihren gewohnten Überzeugungsgewohnheiten herauszureißen. Ob das Licht seiner Laterne ihm geholfen hat, in einer unmenschlichen Welt wenigstens einen wahren Menschen zu finden? Vermutlich nicht.

 

Die Rede vom Licht, das in die Finsternis scheint, gehört zum Ur-Repertoire biblischer Bildsprache. Zum Epiphaniasfest wird besonders viel und gern vom Licht geredet. Es illustriert in einer dunklen Gegenwart das strahlende Heil Gottes für die Welt.

 

Im Evangelium geht es immer und immer wieder nur darum, dass Gott den geplagten Menschen das Heil schenkt. Davon redet auch unser Prophet. Er formuliert eine doppelte Aufforderung. Sie sollen sich erstens aufmachen, erheben oder aufrichten. Sodann sollen sie beginnen, selbst zu leuchten, zu strahlen oder zu licht zu werden.

 

Man sollte meinen, dass sich nach so vielen Jahrhunderten und Jahrtausenden diese Aufforderungen endlich erübrigt hätten. Genug Zeit ist da gewesen, sie zu beherzigen. Doch glaube ich fast, dass ein Diogenes auch heute noch über die Marktplätze unseres Vaterlandes alpen könnte am hellerlichten Tage mit trübem Laternenlicht und den Menschen, der zu seiner Bestimmung gefunden hat, der licht und klar und hell geworden ist, noch immer mühsam suchen müsste.

 

Liebe Schwestern und Brüder, es ist die Bestimmung der Christenmenschen, sich aufzumachen und licht zu werden; in diesem Jahr wie eh und je. Besitzen wir schon die göttliche Ausstrahlung, die die dunkle Welt erhellt? Oder würde Diogenes auch an uns suchend vorbeigehen? Ich will niemandem Unrecht tun, aber die Frage will ich doch stellen.

 

"Mache dich auf, werde licht" - ist das nicht doch ein bisschen viel verlangt? Bloß gut, es wird uns zugleich verraten, woher das Licht unseres Lebens kommen soll: "denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!" Wir müssen, nein wir sollen nicht aus uns selbst heraus strahlen. Das Licht, das die Finsternis in uns und um uns her erhellt, kommt von außen. Gott selbst senkt uns sein Licht. Er geht auf, wie ein funkelndes Gestirn, wie eine Sonne. Sein Heil ist Jesus Christus, eingegangen in die Welt, für jedermann sichtbar. Das Christuslicht erfüllt alle, die sich in dieses Licht Gottes stellen. In Christus geht Gott so grundsätzlich in die Welt ein, dass der Lichtschein bis in die letzten Winkel fällt. Wo dieses Licht scheint, ist sein Reich der Freiheit angebrochen, herrschen Friede, Freude und Versöhnung. 

 

Darum bitten wir heute am Epiphaniastag, dass Gott alles das, was in uns dunkel ist, d. h. nicht so, wie es sein soll, erhelle. Das ist eine ernste Sache, die uns alle betrifft. Wer von der Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus wirklich erleuchtet ist und diese Herrlichkeit ausstrahlt, ist wirklich frei.

 

Frei wovon? Er muss Hass nicht mit Gegenhass, Unrecht nicht mit Vergeltung, Mangel nicht mit Gier, Lüge nicht mit Unwahrheit und Betrug nicht mit Irreführung beantworten. Er hat das einfach gar nicht mehr nötig, weil die Mächte des Dunkeln in ihm keinen Ort mehr finden. Er kann, nach einem Wort Jesu, in Freiheit von finsteren Funktionsmechanismen Böses mit Gutem überwinden. 

 

Zu dieser strahlenden Freiheit verhelfe uns der dreieinige Gott durch einen immer fester werdenden Glauben. Amen.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019