Predigt zum 1. Advent, den 29. November 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Meinem alten Freund Chr. M. D. zum heutigen Geburtstag gewidmet 

 

Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem jauchze!

Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer,

arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem,

und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden.

Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein

von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde. Sach 9,7-8

 

Ich habe einst die Hofburg in Wien besucht. Dort werden hinter Panzerglas die Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation aufbewahrt, darunter auch die berühmte Reichskrone. Ein österreichischer Schutzmann steht davor. Diese Krone wird seit Walther von der Vogelweide in ihrer strahlenden Schönheit besungen. Der große Gelehrte Albertus Magnus beschrieb um 1250 ein kleines Detail dieser Krone, und zwar ihren schönsten Edelstein, der der "Waise" genannt wird. „Der Waise ist ein Edelstein in der Krone des Römischen Kaisers. Weil er niemals sonst irgendwo gesehen war, wird er der »Waise« genannt. Er hat eine Farbe wie Wein, wie zartes Weinrot, und es ist, wie wenn das blendende, leuchtende Weiß des Schnees in das helle Weinrot eindringt und dabei doch das Rot beherrschend bleibt. Dieser Edelstein glänzt stark und es heißt, er habe einst sogar bei Nacht geleuchtet; doch das tut er in unserer Zeit nicht mehr. Wohl aber wird gesagt, dass er die Ehre des Reiches bewahre.“ Dieser Edelstein ging verloren. Niemand weiß wann und wo. Zum letzten Mal wird er 1350 im Übergabeinventar an Kaiser Karl IV. erwähnt. Seither ist er verschollen.

 

"Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer". Das ist die berühmte Kernaussage aus dem Sacharja-Text, den wir eben lasen. Sacharja (er hört auf den schönen Namen Secharja ben-Berechja ben-ʿiddo hanNawi)  entstammt einem Priestergeschlecht. Er gehört nach Jerusalem, ins 6. Jh. v. Chr., bald nach dem babylonischen Exil des jüdischen Volkes. Ach, das ist lange her. Doch niemals hat man die Stelle vergessen. Hier schwingt sich die Botschaft, dass einmal alles gut werde, zu ihrer letzten Höhe auf: Der rettende König, der Gesalbte Gottes (d. h. Messias), wird zu den Völkern kommen und mit ihm das lang ersehnte Heil.

 

Das klingt uns merkwürdig fremd in unseren Ohren. Denn mit Majestäten haben wir nicht gar so viel am Hut. Der letzte Kaiser wurde 1918 verjagt und konnte sich mit Mühe ins Haus Doorn nach Holland retten. Eine traurige Geschichte. Wer dort hinfährt, kann mit Händen greifen, was es bedeutet, dass die Herrlichkeit der Erde vergeht. Und all die merkwürdigen Persönlichkeiten, die uns aus den Illustrierten als gekrönte Häupter anlächeln, haben so gut wie nichts mehr mit dem ehrwürdigen, strengen, demütigen Königtum der Gerechtigkeit zu tun, das dem Frieden in der Welt verpflichtet ist.

 

So steht hinter dem Wort des Sacharja eine große Sehnsucht. Sie richtet sich nach wie vor an eine von Macht und Gewalt bedrohte Welt. Hier haben wir unmittelbar Zugang zu seiner Botschaft. Das hat sich ja nicht geändert. Die Not, miteinander im Unfrieden leben zu müssen, ist uns nah wie je. Manch einer denkt mit Schrecken an familiäre Zerwürfnisse, an schwere tagespolitische Spannungen, auch an die Zumutungen, die sich gegenwärtig mit der Corona-Krise Tag für Tag erneuern. Offenbar leben wir in einer unerlösten Welt.

 

Sacharjas Vision ist ein einziger Schrei nach der heilen, erlösten Welt. Es ist eine unzulässige Verkürzung, diese Rede nicht auch metaphorisch zu nehmen. Seine Bilder sind eindrücklich. Streitwagen, Streitrosse und Kriegsbögen sollen vom erwarteten König vernichtet und zerbrochen werden.

 

Warum? Weil sie nicht mehr nötig sind. Dieser König, den er im Geiste sieht,, wird den Völkern "Frieden gebieten". Das ist eine auffällige Formulierung, "Frieden gebieten". Mir scheint, Sacharja will festhalten, dass der Mensch, der als Wolf des Menschen Wolf ist und einen Krieg aller gegen alle entfacht, eines strengen, zurechtweisenden und ernsten Wortes bedarf: Jetzt ist es aber gut! Wendet die Dinge zum Guten! Lasst euch nicht wieder hineinziehen in den Unfrieden! Das ist ein wichtiges Wort in einer unerlösten Welt.

 

Wir bekennen Jesus Christus als den König, den der Prophet Sacharja verkündigt. Und da wir an ihn glauben, haben wir ihn gefunden. Und unser Glaube ist gewisser als gewiss. Er ist ja keine bloße Meinung, sondern "eine gewisse Zuversicht des, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht". (Hebr 11,1): Ergo: Christus ist König, das steht fest.

 

Diese Tatsache blitzt verborgen hier und da in den Evangelien auf. Wer Augen hat zu sehen, sieht sie auch. "Bist du ein König?", fragt Pilatus. Und er antwortet: "Du sagst es. Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme." (Joh 18,37) Auf Christus hören bedeutet nichts weniger, als in der Wahrheit zu stehen. Ihn zu verachten dagegen, in der Lüge zu vergehen.

 

Ein weiteres Mal leuchtet sein Königtums in der Verhöhnung des Dorngekrönten und im Kreuzestitel "INRI" auf. Was bedeutet das? Wir glauben einen König, der vorbehaltlos einspringt für die Seinen, der sich aufopfert, ja sein Leben hingibt, auf dass die Seinen leben - wie es sich für einen König gehört.

 

Vor ihm erweisen sich die Könige der Welt als bloße Theaterprinzen, die vergessen haben, woher ihnen Vollmacht zufließt: "P[ER] ME REGES REGNANT". ("Durch mich regieren die Könige." So lauten die Worte des thronenden Christus auf einer der Emaille-Platten der oben erwähnten Reichskrone.) Wenn sie es vergessen haben, ist es freilich besser, sie treten zurück und gehen ins Exil.

 

Bei Christus, dem Messias Gottes, geht es um ein armes, ernstes, aber eben darin heilvolles und versöhnendes Königtum, wie von Sacharja prophezeit. Es hat eine ganz eigene Strahlkraft. So mag es auch von dem königlichen Glanz Jesu heißen: "Dieser Edelstein glänzt stark und es heißt, er habe einst sogar bei Nacht geleuchtet; doch das tut er in unserer Zeit nicht mehr." Heute nicht mehr? Nun, die Gefahr des Verlöschens ist allgegenwärtig. Weh über die, bei denen der Glaube zum Kleinglauben wird und schließlich ganz erlischt. Sie verlieren darüber das Heil.

 

"Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!" (Mk 9,24) lautet der Ruf auch dieser Stunde. Ja, wir sind mitbetroffen, die wir vor unserem Leben stehen wie vor den Splittern eines beschädigten Mosaiks. Da muss wohl einer kommen, der unserer Welt Gerechtigkeit und Hilfe bringt. Und wir leiden und harren und warten.

 

Auf wen? Einzig auf Christus. Er ist der Gerechte und der Helfer.

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019