Gedanken zur Tageslosung am Montag, den 7. September 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"Deine Augen stehen offen über allen Wegen der Menschenkinder." Jer 32,19

 

Ich kenne junge Leute, die es schwer haben, sich nach der Schule endgültig zu entscheiden. Wie soll es weitergehen? Soll man sich, bevor man wieder auf der Schulbank landet, noch ein Jahr in der Welt herumtreiben? Soll man sich im Ausland nützlich machen? Soll man gleich eine Ausbildung oder ein Studium beginnen? Aber was, wenn ja? Die jungen Leute, die ich vor Augen habe, sind ganz verunsichert und können sich bei der Fülle der Möglichkeiten einfach nicht entscheiden. Kann ich denn jetzt schon wissen, ob ich die richtige Entscheidung treffe und einen guten Weg beschreite? Eigentlich kann man ja nur alles falsch machen und unglücklich werden!

 

Ich habe einen Studienfreund, mit dem ich 1988 begann, in Leipzig Theologie zu studieren. Ich bin ihm bis heute sehr eng verbunden. Er war damals schon ein junger Familienvater. Im Laufe des Studiums wurden ihm noch zwei weitere Kinder geboren. Die verschiedenen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen brachten es unter der Hand mit sich, dass das Studium immer weiter in den Hintergrund trat. Am Ende hat er es ohne Abschluss abbrechen müssen. Es ist eine offene Wunde geblieben. Wehmut und Verbitterung über eine unwiederbringliche Chance sind geblieben. Auch nach 25 Jahren nagt es an ihm. Eigentlich kann man ja nur alles falsch machen und unglücklich werden!

 

Unglück im Vorausblick und Unglück im Rückblick - ist das richtig so? Es steht mir natürlich nicht zu, diese Sicht wegzuwischen. Es ist ja eine Not, durch eine Tür gehen zu müssen, danach durch noch eine, dann noch eine - und nicht wieder zum Ausgang zurückkehren zu können. Die Lebenszeit läuft uns davon, schneller als uns lieb ist. Und unsere Pläne in dieser Zeit veralten wie Kleider, die die Motten zerfressen. Eigentlich kann man ja nur alles falsch machen und unglücklich werden!

 

Doch halt, jetzt ist es aber gut! Wo soll denn dieses Lamento und diese Weinerlichkeit hinführen? Es ist überaus mutig, mit dem Wort der Heiligen Schrift zu sagen: "Deine Augen stehen offen über allen Wegen der Menschenkinder." Es steht da "über allen Wegen". Das ist nicht nur die schicke Zielgerade, die den Siegespreis bringt.

 

Nichts bleibt Gott verborgen und jeder Schatten, den wir auf unser Leben fallen sahen, hatte seine Stunde, seinen Grund und sein Ziel. Meintest du, Gott würde die Augen verschlossen haben vor deiner Lebensunzulänglichkeit? Hast du nicht bei dir erwogen, dass sich darin dein "Ich" bildete und deine Persönlichkeit die Konturen gewann, die sie nach Gottes Willen bekommen sollte? Vielleicht bist du der einzige, der das, was dir wider Willen widerfuhr, zu tragen im Stande war? Ich möchte niemandem zu nahe treten. Es sind nur Fragen. Aber es lohnt sich, ihnen in einem gläubigen Rückblick nachzugehen.

 

Wo willst du stehen? In der Schar derer, die die Hand an den Pflug legen und zurückblicken - oder in der Schar derer, die immer schon bezeugt haben: Der Herr "schläft und schlummert nicht". (Ps 121,4) In der Gewissheit des Glaubens, wenn wir sie denn gewinnen können, nehmen sich die haltlosen Momente unseres Lebens anders aus. Sie verändern ihre Bedeutung ganz grundsätzlich. Die rückwärtsgewandte Melancholie oder gar Verzweiflung, die unser Lebensgefühl immer wieder dominieren wollen, können einfach nicht bestehen vor der Tatsache, dass wir unter den Augen Gottes leben und weben. Das muss einmal ausgesprochen sein!

 

"Wir haben unsre Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt, welcher ist der Heiland aller Menschen, besonders der Gläubigen." 1 Tim 4,10

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019