Gedanken zur Tageslosung am Donnerstag, den 9. Juli 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"Der HERR ist deine Zuversicht." Ps 91,9

 

Der heutige Tag ist dem Gedächtnis des barocken Lieddichters Georg Neumark (1621-1681) gewidmet. Oh, der Name ist ganz unbekannt? Ja, vermutlich. Aber sein berühmtestes Lied ist fast jedem bekannt. Manch einer kann sogar einige Strophen auswendig. Es steht seit Jahrhunderten in nahezu allen Gesangbüchern aller Konfessionen. Es gehört zur Weltliteratur.

 

"Wer nur den lieben Gott läst walten /

Und hoffet auf Ihn allezeit /

Der wird Ihn wunderlich erhalten /

In aller Noht und Traurigkeit.

Wer Gott dem Allerhöchsten traut /

Der hat auf keinen Sand gebaut."

 

Erstmals erschien es in einer barocken Sammlung von Gedichten, Sinnsprüchen und Liedern. Das wird an der Schreibweise (und altertümlichen Verwendung von "wunderlich") sofort deutlich. Damals trugen die Bücher noch so blumige Titel wie diesen:

 

"Fortgepflanzter Musikalisch-Poetischer Lustwald / In dessen erstem Theile / so wohl zu Aufmunterung Gottseeliger Gedanken und zur Erbauung eines Christlichen Tugendsamen Lebens anführende Geist- und Weltliche Gesänge; Als auch zu keuscher Ehrenlieben dienende Schäferlieder / mit ihren beigefügten Melodien und völliger Musikalischen Zusammenstimmung enthalten sind ..." Jena, 1657, S. 26-30.

 

Alle Strophen sind schön und lesen sich wie ein Kommentar zu unserer Tageslosung. Wer mag, schlage das Evangelische Gesangbuch Nr. 369 auf.

 

Kurz vor seinem Lebensende, schon angesichts seines Todes, gibt Neumark Auskunft, unter welchen Umständen es entstanden ist. In seiner letzten Schrift (Thränendes Haus-Kreutz / oder gestallten Sachen nach / Klag- Lob- und Dank-Opfer ... Weimar 1681, C1r-C3v), die in seinem Todesjahr erscheint, beschreibt er die Umstände, unter denen er es als junger Mann 1621 gedichtet hatte. Das ist ein seltener Fall. Ich bin dem nachgegangen. Hinter dem Lied steht ein Kriegsschicksal.

 

Im Jahre 1640, in der Endphase des 30jährigen Krieges, geht Neumark vom Gymnasium in Gotha ab, um in Königsberg Jura zu studieren. Er reist über Leipzig und von dort mit einigen Händlern weiter nordwärts, um die Ostsee zu erreichen. In der Nähe von Gardelegen wird er Opfer einer "großen Plünderung / alle das Meinige an wenigen Reise-Geldern / Kleidern und Büchern / Welches ich einem Kästlein zusammen gepacket war / beraubet worden / und nichts mehr / als mein Gebet und Stambuch ... und also in das erste Reise-Unglükk gerathen. Was sollte ich nun thun?"

 

Er schlägt sich durch nach Magdeburg. Der dortige Pfarrer nimmt ihn für drei Wochen auf. Da sich partout keine Anstellung findet, schickt er ihn mit einem Empfehlungsschreiben weiter nach Lüneburg. Auch dort will sich nichts finden. Er wird nach Winsen weitergeschickt, weil dort angeblich eine Stelle als Musiklehrer vakant sei. Als er eintrifft, ist sie gerade besetzt. Er steht vor dem Nichts, wird aber weiterverwiesen an einen Pfarrer in Hamburg. Der setzt sich ebenfalls für ihn ein. Ein Kaufmann weist ihn an einen vermögenden Hamburger, der einen Musiker anstellen möchte. Als er sich bei ihm vorstellen will, erfährt er, dass der gerade im Sterben liegt. Er reist mit "etlichen Hamburgischen Bierfuhren nach Kiel in Holstein". Der dortige Pfarrer und dessen Freund, der "Stadt-Physicus", beherbergen und beköstigen ihn drei Wochen lang wechselseitig und versuchen ihm eine Stellung zu verschaffen. Die Sache zieht sich hin und spitzt sich zu.

 

"Es lief aber die erste / anderte und fast dritte Woche hinweg / daß es sich wieder anließ / als wollte der liebe Gott noch nicht helffen / deswegen ich aufs neue in großen Kummer geriehte / sonderlich weil diese Tischgängerey / zwar nicht von dem Herrn; Sondern von andere zu Zeiten schälsichtig aufgenommen wurd / welches mich sehr schmertzete ..." (C2v) Aber plötzlich tat sich eine Türe auf, "... in dem es sich begab / daß ... [der] Pedagogus neben andern liederlichen Purschen zu Zeche gangen / des Nachts herum geschwärmet / und dergestaltige böse Händel verübet / daß sie aus Furcht / man würde sie bey den Köpfen nehmen und der Gebühr nach bestraffen / bey frühe heimlich aus der Stadt und darvon gelaufen ..." (a. a. O.)

 

Neumark darf die Lehrerstelle des entlaufenen Vorgängers antreten. "Welches schnelle / und gleichsam vom Himmel gefallene Glükk / mich hertzlich erfreuete / und noch des ersten Tages / meinen lieben Gott zu Ehren, das hin und wieder wohl bekante Lied: Wer nur den lieben Gott läst walten / und hoffet auf ihn allezeit / den wird er wunderlich erhaltne in aller Noht und Trauigkeit etc. aufzusetzen / und hatte gnug Ursache / der Göttlichen Barmhertzigkeit / vor solche erwiesene unversehene Gnade / so wol damals / als noch itzo und biß an mein Ende / hertzinniglich Dank zu sagen." (C3r)

 

Neumarks Worte wirken antiquiert, der Gedankengang verschachtelt, die Ausdrucksweise von barocker Redundanz- wie auch nicht; sie sind vor über 300 Jahren geschrieben worden.

 

Aber seine Rede zeugt von der Kraft, die der Mensch schöpft, wenn ihn der Glaube an Gottes Hilfe mit neuer Hoffnung erfüllt. Gott kann das Schicksal wenden. Gott wird es wenden. Das bleibt und wird von uns heute verstanden. Deshalb liebten die Menschen zu allen Zeiten sein Lied und singen es bis heute ganz besonders gern. 

 

Seine Worte bezeugen die christliche Wahrheit, die der Apostel Paulus so ausdrückt: "Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voller Freimut." 2. Kor 3,12

 

Bach hat den Choral unzählige Male vertont. Eine schöne Aufnahme mit Ton Koopman an der Orgel findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=k7Tzqb5-OoM.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019