Gedanken zur Tageslosung am Sonnabend, den 4. Juli 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Der HERR spricht: "Ich will mich zu euch wenden und will euch fruchtbar machen und euch mehren und will meinen Bund mit euch halten." 3. Mose 26,9

 

Dieser Vers verweist zurück auf die Worte vom Anfang der Bibel an Adam und Eva: "Und Gott segnete sie uns sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde ..." (1. Mose 1,28) Der Kontext, in dem der Losungstext steht, benennt die Gefährdung des Volkes Israel durch Feinde in seiner Umgebung. Ehe und Familie sind von Gott gesegnet und müssen gegen feindliche Kräfte und Strömungen verteidigt werden. Für Israel war ganz klar: Es hängt die Zukunft daran.

 

Das mag der aktuelle Bezug dieser Worte sei. Wir leben in einer Zeit, in der Ehe und Familie ganz besonders scharf unter Druck geraten sind. Und ist fast zu schwach ausgedrückt: Ehe und Familie sind in der so genannten gegenwärtigen westlichen Zivilisation von Auflösung bedroht, in ihren Grundfesten erschüttert und bis zur Unkenntlichkeit zerrüttet. Das ist ein schleichender Prozess gewesen, der, wenn mich nicht alles täuscht, in Traditionsbrüchen von apokalyptischem Ausmaß begründet liegt und unter der Maske einer neosozialistisch-liberalistischen Weltanschauung ganz selbstverständlich hingenommen wird. Niemand wundert sich darüber. Aber das macht es nicht besser.

 

Aus lauter Interesse habe ich bei Luther nachgelesen. Einschlägig ist seine kleine Frühschrift "Vom ehelichen Leben" von 1522. Unter ganz anderen Vorzeichen sieht er - angesichts spätmittelalterlicher Klosterideale, einer antiken Herabsetzung der Frau und wirtschaftlicher Sorgen des Familienlebens - vor fünfhundert Jahren Ehe und Familie bedroht. Aber seine Grundlegung und seine Folgerungen bleiben zu allen Zeiten bedenkenswert, d. h. so lange noch jemand auf die Auslegung der Heiligen Schrift hört.

 

Was sagt er denn, so dass wir uns daran besinnen oder ausrichten könnten? Er erinnert an 1. Mose 1,27, dass Gott den Menschen als Mann und Frau schuf. Weiter sagt er, dass die Schöpfungsqualitäten des Leibes nicht abgestreift werden können. Da wird man heutzutage hellhörig: "... es stehet nicht in unserer Gewalt, dass ich mich zu einem Weibsbild oder du dich zu einem Mannsbilde machest, sondern wie er mich und dich gemacht hat, so sind wir: ich ein Mann, du ein Weib." (Luther deutsch, Berlin 1954, Bd. 7, S. 237) Er soll sie und sie soll ihn nicht verachten oder verspotten, sondern "ein jeglicher des andern Bild und Leib als ein göttlich gut Werk ehre(n) ..." (S. 238)

 

Wenn Gott die beiden segnet, indem er zu ihnen spricht: "wachset und mehret euch", dann tut er "etwas über die Schöpfung hinaus". Sie "sollen und müssen" also zusammen. "Wachset und mehret euch" ist "... mehr als ein Gebot, nämlich ein göttlich Werk, das zu verhindern oder zu unterlassen nicht bei uns stehet, sondern es ist ebenso notwendig, wie dass ich ein Mannsbild sei und notwendiger als Essen und Trinken, Reinigung des Leibes, Schlafen und Wachen. Es ist eine dem Menschen eingepflanzte Natur und Art ebensowohl wie die Gliedmaßen ..." (alles a. a. O.)

 

Luther sieht die Ehe - anders als heute weithin angenommen - als einen notwendigen menschlichen Vollzug, der auf Kinder und Familie als Verwirklichung des Segens abzielt. Sehr gut gefällt mir die Wendung, die die Haltung der Eltern (auch des Vaters!) beschreibt (sie klingt fast modern).

 

Luther sagt: Wenn die Vernunft die Ehe sieht, "rümpft sie die Nase und spricht: Ach, sollt ich das Kind wiegen, die Windeln waschen, Betten machen, Gestank riechen, die Nächte durch wachen, seines Schreiens warten, seinen Grind und Blattern heilen, danach des Weibes pflegen, sie ernähren, mich abmühen, hier sorgen, da sorgen, hier tun, da tun, das leiden und dies leiden, und was denn der Ehestand mehr Unlust und Mühe lernet? Ei, sollt ich so gefangen sein? O, du elender, armer Mann, hast du ein Weib genommen, pfui, pfui des Jammers und der Unlust! Es ist besser, frei bleiben und ohne Sorge ein ruhig Leben geführt." (S. 251)

 

Er hält den Glauben dagegen, der weiß, dass Gott Ehe und Familie gesegnet und gewollt hat und fährt fort: Der Glaube "tut seine Augen auf und siehet alle diese geringen, unlustigen, verachteten Werke im Geist an und wird gewahr, dass sie alle mit göttlichem Wohlgefallen wie mit dem köstlichsten Gold und Edelsteine geschmückt sind und spricht: Ach Gott, weil ich gewiss bin, dass du mich als einen Mann geschaffen und von meinem Leib das Kind gezeugt hast, deshalb weiß ich auch gewiss, dass es dir aufs allerbeste gefällt, du bekenne dir, das ich nicht würdig bin, dass ich das Kindlein wiegen, noch seine Windeln waschen, noch sein oder seiner Mutter warten sollte. Wie bin ich ohne Verdienst in die Würdigkeit gekommen, dass ich deiner Kreatur und deinem liebsten Willen zu dienen gewiss geworden bin? Ach wie gerne will ich solches tun, und wenn's noch geringer und verachteter wäre. Nun soll mich weder Frost noch Hitze, weder Mühe noch Arbeit verdrießen, weil ich gewiss bin, dass dir's so wohl gefällt! ... So soll auch das Weib bei seinen Werken denken: wenn sie das Kind säuget, wieget, badet und andere Werke mit ihm tut ... Es sind alles eitel güldene, edle Werke ..." (a. a. O.)

 

Nun, das ist alles nicht sonderlich politisch korrekt. Das ist ja alles ziemlich weit entfernt von den "Visionen" heutiger Familienpolitik. - Nun, es ist aus der Schrift geschöpft, kraftvoll gedacht und insgesamt eine Sicht, die den Strom des Lebens nicht verkümmern und versickern, sondern kraftvoll in die Zukunft strömen sieht. Da stimme ich gern zu. Und, unter uns, was liegt schon an der "political correctness"?

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019