Gedanken zur Tageslosung am Montag, den 29. Juni 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"Daniel sprach: Mein Gott hat seinen Engel gesandt, der den Löwen den Rachen zugehalten hat, sodass sie mir kein Leid antun konnten." Dan 6,23

 

Der 29. Juni ist der Gedenktag der beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus. Beide sind Märtyrer geworden und Christus treu bis in den Tod gewesen. Die Details sind nicht mehr genau zu ermitteln. Ihr Martyrium steht jedenfalls in Zusammenhang mit der Christenverfolgung Kaiser Neros, höchstwahrscheinlich bald nach dem großen Brand Roms am 18. Juli 64.

 

Der Legende nach wurde Petrus kopfüber gekreuzigt. Er war umgekehrt, nachdem ihm auf der Flucht der Auferstandene auf der Via appia begegnet war. Auf die Frage "Quo vadis, Domine" hatte ihn Christus zur Rückkehr bewegt. Paulus hatte von seinem Vater das römische Bürgerrecht geerbt und durfte darum "ehrenvoller" sterben. Er wurde nach der Legende mit dem Schwert geköpft.

 

Mit Blick auf die Apostelfürsten und tausende anderer Märtyrer bis auf den heutigen Tag (siehe https://www.opendoors.de) ist festzuhalten, dass Gott ihnen jedenfalls keinen Engel gesandt hat, der den Löwen den Rachen zuhielt.

 

Dieser Gedanke bleibt für den christlichen Glauben qualvoll. Da ist nichts dran zu deuteln. Allerdings tritt in diesem Gedanken nur besonders krass hervor, was ohnehin immer schon gegen Gott eingewandt wurde und wird: Wie kann er es zulassen, dass die Menschen, auch seine Gläubigen, so grausam heimgesucht werden durch anderer Menschen Bosheit und Katastrophen, Krankheiten und Schicksalsschläge aller Art! Was ist das für ein grausamer Gott usw.

 

Seit Jahrhunderten gibt es den Versuch, diese, seit Leibnitz Theodizee genannte Frage irgendwie zu beantworten. Es hat eine Reihe interessanter Antwortversuche gegeben. Ihre Überzeugungskraft wird verschieden bewertet.

 

Ich habe auch keine allseits überzeugende Antwort. Aber ich möchte auf Martin Luther verweisen. Er argumentiert trotzig und klug. Das allein ist bemerkenswert. Also der Gedankengang aus seiner Schrift "De servo arbitrio" gegen die "Diatribe" des Erasmus von Rotterdam:

 

1. Über theoretisches Nachdenken kann die Wahrheit über Gottes Wesen und das Sein der Welt nicht erlangt werden. Alles bleibt vieldeutig. Darum hat sich Gott ja offenbart. In der Offenbarung Jesu von Nazareth wird er selbst Mensch und kann von Menschen folglich erkannt werden.

 

2. Er legt aber in dieser Offenbarung die Superlative der Allmacht, der Allwissenheit, der Allgegenwart, der Leidensunfähigkeit, der Ewigkeit usw. ab und wird als Mensch klein, arm, schwach, leidend und sterblich. Er lässt sich also genau da finden, wo man ihn nicht erwartet. Denn erwarten würde man Gott in Herrlichkeit und Macht usw. Aber da ist er nicht zu finden. Der Glaube sieht, dass sich Gott in und durch das Kreuz, nicht durch philosophische Spekulationen offenbart.

 

3. Natürlich ist Gottes Wille größer und umfänglicher, als seine Offenbarung für die Menschen. Er bleibt darin frei und dem Menschen unzugänglich. Er kann seinem innersten Wesen nach nicht erforscht werden. Weil uns dieser Gott unzugänglich bleibt, wird er "Deus absconditus" (verborgener Gott) genannt (nach Jes 54,15). Das ist mit Ehrerbietung und Scheu zur Kenntnis zu nehmen. Es muss in Anbetung als allertiefstes, heiligstes Geheimnis der göttlichen Majestät stehen bleiben. Gott tut Dinge, die wir nicht kennen können oder je kennen sollen. "Es ist genug, dass wir nur das wissen, dass in Gott ein gewisser unerforschlicher Wille ist; aber was, warum und wie weit er wolle, das gebührt uns durchaus nicht zu fragen, wissen zu wollen, uns darum zu kümmern oder uns damit zu befassen, sondern nur mit Furcht und Zittern anzubeten."

 

4. Gepredigt und verkündigt wird immer nur der Gott, der sich offenbart hat, nicht Gott an sich. "Man muss anders reden von Gott oder dem Willen Gottes, der uns gepredigt wird, der uns offenbart ist, der uns angeboten wird, mit dem wir uns beschäftigen, als von dem Gott, der uns nicht gepredigt, nicht offenbart, nicht angeboten worden ist, mit dem wir nichts zu schaffen haben. Darum, so fern Gott sich verbirgt und von uns nicht erkannt sein will, geht er uns nichts an. Denn hierher gehört in Wahrheit das Wort: Was über uns ist, ist nicht für uns."

 

5. Der gepredigte Gott will nichts als Heil und Leben für seine Gläubigen. Das steht fest, denn das Evangelium von Jesus Christus handelt die ganze Zeit nur davon. Der Glaube hält sich ausschließlich an den gepredigten Gott des Evangeliums. Er vertraut seiner rettenden Zusage von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit allen seinen Kräften. Er sieht, dass in Jesus Christus die Sünde und der Tod ein für alle Mal überwunden sind. Er folgt nicht dem unerforschlichen Willen Gottes, sondern dem offenbarten. (vgl. Luther, Ausgabe Walch 2. Aufl., Bd. 18, Sp. 1794-1802)

 

Diese Sicht Gottes besticht, weil sie so ehrlich ist und weil sie demütig einräumt, Gott nicht bis in den letzten Winkel seines Seins verstehen zu können. Gott bleibt uns ein Geheimnis und sein Wirken auch. Aber alles, was zum Heil dient, wissen wir durch seine Offenbarung. Das soll uns genügen.

 

Wer dies im Hinterkopf behält, kann auch das berühmte Wort des Apostels Paulus gelten lassen, der, obwohl selbst Opfer kaiserlicher Gewalt, sich unter allen Umständen (unter allen!) an die im Evangelium verheißenen Erlösung festklammert: "Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um." 2 Kor 4,9

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019