Andacht für Donnerstag, den 2. April 2020

„Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und noch jetzt verkündige ich deine Wunder.“ Psalm 71,17

Stellen Sie sich das einmal vor: Der Philosoph Immanuel Kant wurde zu seinem 50. Geburtstag (im Jahre 1774) in einer Festrede, die der Rektor der Universität Königsberg hielt, mit den Worten „Hochverehrter Greis“ angeredet. Scheinbar war das damals ein respektvoller Brauch. Heute einen 50-jährigen zu seinem Geburtstag so zu titulieren, käme einer unverschämten Beleidigung gleich.

Wer es ganz besonders gut meint - ich habe es schon häufig erlebt bei Kassiererinnen im Kaufmannsladen oder bei Schwestern in der Arztpraxis - , redet auch einen 90-jährigen mit „junger Mann“ an. Vermutlich ist es freundlich gemeint. Es wird offenbar auch so verstanden, denn die so Angeredeten beschwerten sich nicht. Das ist ein Zeichen dafür, dass heutzutage das Jungsein hoch im Kurs steht. Das weiß jeder.

Einstmals redete man voller Respekt und Hochachtung von den „Alten“. Es gibt Dinge, die sich nur einem gewissen Alter erschließen. Das möchte ich gegen den Trend festhalten.

Die Worte unserer Tageslosung kann wohl nur ein alter Mensch aussprechen. Es muss jemand sein, der auf seine Lebensgeschichte zurückblickt. Es gibt viel, worüber man sich da wundern kann. Ja, die wunderbaren Windungen und Wendungen lassen sich nur aus dem Abstand langer Jahre erkennen.

Der junge Mensch fragt nicht viel. Er lebt einfältig geradeaus. Für ihn öffnen sich viele Tore, von denen er nicht weiß, was dahinter wartet. Er beschreitet viele Wege, von denen er nicht ganz genau weiß, wo sie hinführen und ob sein Ziel überhaupt am Ende dieses Weges liegt.

Der alte Mensch dagegen ist schon klug geworden. Das Leben hat ihn klug gemacht. Es hat längst nicht jeder Weg zum Ziel geführt. Und manchmal war es sogar so, dass, wenn ein Ziel erreicht war, ein anderes an Bedeutung zurücktrat. Der alte Mensch sagt: Ich bin ich, ich bin geworden, ich bin gewachsen an meinem Lebensweg, an den guten und den schlechten Zeiten. Gott hat mich so und so geführt und zu dem gemacht, der ich bin. Oft sogar gegen meinen Willen. Und er hat mich dabei beschenkt mit Menschen, Erlebnissen und Erfolgen, die ich nicht missen kann und will.

Ich möchte Sie bitte, sich das heute einmal zu vergegenwärtigen, welche wichtigen Zeitpunkte und Entscheidungen es in Ihrem Leben gibt. Es werden sich schmerzliche finden, ganz sicher. Es werden sich aber auch ganz sicher wunderbare Fügungen im Rückblick entdecken lassen. Sie machen uns reich. Sie sind uns auch nicht zu nehmen. Dass wir glauben dürfen, gehört mit Sicherheit dazu. Denn es bleibt eine Gnade, inmitten der verrückten Welt mit ihren schier unerträglichen Zumutungen so zu stehen: „Tobe Welt und springe. Ich steh' hier und singe in gar sich'rer Ruh. Gottes Macht hält mich in Acht ...“

Ich wünschte, dass mich Gott der Gnade teilhaftig werden lässt, zu einem greisen Simeon zu werden. „Simeon nahm das Kind Jesus auf seine Arme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Lukas 2,28-30