Andacht zur Tageslosung, Mittwoch 1. April 2020

"Ich will mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. " Jesaja 65,19

 

Plötzlich brach Frau Permaneder in Tränen aus.

"Ich habe ihn so geliebt", schluchzte sie ... "Ihr wißt nicht, wie sehr ich ihn geliebt habe ... mehr als ihr Alle ... ja, verzeih, Gerda, du bist die Mutter ... Ach, er war ein Engel ..."

"Nun ist er ein Engel", verbesserte Sesemi.

"Hanno, kleiner Hanno", fuhr Frau Permaneder fort, und die Tränen flossen über die flaumige, matte Haut ihrer Wangen ... "Tom, Vater, Großvater und die Anderen alle! Wo sind sie hin? Man sieht sie nicht mehr. Ach, es ist so hart und traurig!"

"Es gibt ein Wiedersehen", sagte Friederike Buddenbrook, wobei sie die Hände fest im Schoße zusammenlegte, die Augen niederschlug und mit ihrer Nase in die Luft stach.

"Ja, so sagt man ... Ach, es gibt Stunden, Friederike, wo es kein Trost ist, Gott strafe mich, wo man irre wird an der Gerechtigkeit, an der Güte ... an Allem. Das Leben, wißt ihr, zerbricht so Manches in uns, es läßt so manchen Glauben zuschanden werden ... Ein Wiedersehen ... Wenn es so wäre ..."

Da aber kam Sesemi Weichbrodt am Tische in die Höhe, so hoch sie nur irgend konnte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte den Hals, pochte auf die Platte, und die Haube zitterte auf ihrem Kopfe. "Es ist so!" sagte sie mit ihrer ganzen Kraft und blickte Alle herausfordernd an.

Sie stand da, eine Siegerin in dem guten Streite, den sie während der Zeit ihres Lebens gegen die Anfechtungen von Seiten ihrer Leherinnenvernunft geführt hatte, bucklig, winzig und bebend vor Überzeugung, eine kleine, strafende, begeisterte Prophetin.

 

So endet der Jahrhundertroman " Buddenbrooks. Verfall einer Familie" von Thomas Mann. Diese Schlussszene ist meine Lieblingsszenen. Die kleine, runzelige und verwachsene Lehrerin behält das letzte Wort gegen alle augenscheinliche Tatsächlichkeit. Für mich bleibt sie die erstaunlichste Heldin des ganzen Romans. Denn dazu muss man stark sein.

 

Ich bewundere seit je die feine Ironie, die Gegenläufigkeit der Motive und die Skurrilität der Situation. Es ist, als riefe die alte  Lehrerin ein ernstes "April, April!" in die unglückliche Kaffeerunde, denn alles verhält sich am Ende ganz anders als es aussieht.

 

Das "Weinen" und das "Wiedersehen" werden hier einander entgegengesetzt. Sie ringen miteinander. Wer behält den Sieg?

 

Das Faktische hält die Welt im Griff. Was einmal geschehen ist, ist unumkehrbar. Manches lässt sich später halbwegs korrigieren, das meiste nicht. Ist die Zeit darüber hinweg, stehen wir dem Gewordenen eher hilflos gegenüber. Wir haben es hinzunehmen.

 

Wichtig sind zwei Fragen in der Spannung von Vergangenheit und Zukunft. Erstens: Wie stelle ich mich zum Geworden-Sein meines Lebens und aller Widerfahrnisse, der guten und der garstigen? Zweitens: Wie will ich von jetzt ab in die Zukunft sehen?

 

Losung und Lehrtext für den heutigen Tag nehmen diese Spannung auf. Sie sind prophetisch, d. h. "seherisch". Es werden Dinge berührt, die wir noch nicht sehen, die aber trotzdem sein werden, ganz gewiss. Unsere zwei Bibelworte lassen Gott bzw. Christus sprechen, die Herren meiner Lebensgeschichte und aller Geschichte überhaupt. Und beide sprechen sie ihr großes "ich will".

 

Verändert sich das angespannte Lebensgefühl der Gegenwart, wenn doch über ihm das Trostwort vom Ende allen Klagens steht? Verändert sich der Blick in die Zukunft, wenn doch der Weg so oder so auf ein Wiedersehen mit Christus hinausläuft, wir wissen nicht wie?

 

Gott helfe uns, dass wir jetzt und immer das Vertrauen in sein "ich will" setzen.

 

Jesus sprach zu den Jüngern: "Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen." Johannes 16,22

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019